Ich sehe was, was du nicht siehst: Mich – Die verborgenen Geschichten einer schillernden Industrie

Marie Touillon @marietouillon
Marie Touillon @marietouillon

Die Modewelt ist bekannt für ihre glänzenden Oberflächen, makellose Schönheit und perfekte Inszenierung. Doch hinter diesem glamourösen Bild verbirgt sich eine komplexe und oft problematische Realität, in der harter Konkurrenzkampf und hoher Druck herrschen. Dabei bleiben die eigene Person und die psychischen Belastungen oft unsichtbar.

Die Kampagne „Mental Health in Fashion” zielt darauf ab, psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren und ungesunde Strukturen in der gesamten Modeindustrie aufzudecken – von den sichtbaren Akteur:innen bis zu den oft ungesehenen Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fabriken. Ziel ist es, das Bewusstsein für das seelische Wohlbefinden in einer Branche zu schärfen, die von außen betrachtet vollkommen erscheint, jedoch hinter den Kulissen mit gravierenden Problemen zu kämpfen hat.

Ein bedeutender Meilenstein für die internationale Aufmerksamkeit dieses Themas ist das „A Shaded View on Fashion Film“ Festival in Paris. Unter dem Namen und in Zusammenarbeit mit der Berliner Initiative "Mental Health in Fashion" wird eine neue Filmkategorie eingeführt, die besondere Einblicke in die Herausforderungen der globalen Modewelt bietet. Einreichungen für Filme haben bereits begonnen, und das Modefilmfestival wird im November 2024 bei Dover Street Market Paris stattfinden. Durch die Einsendung künstlerischer Darstellungen für den Wettbewerb soll ein tieferes Verständnis für die oft verborgenen Schwierigkeiten im Textil- und Bekleidungssektor gefördert werden.

Die folgenden Interviews beleuchtet einen Ausschnitt dieser Kampagne, der sich auf die Sichtbarkeit und die psychischen Herausforderungen von Menschen in der Modebranche konzentriert, die im Blickpunkt stehen. Er zeigt, wie diese Personen den Druck und die Herausforderungen ihrer Arbeit bewältigen und dennoch authentisch bleiben. Ihre Erfahrungen illustrieren die Diskrepanz zwischen dem äußeren Glanz der Modebranche und den tatsächlichen Gegebenheiten, während sie auch die Notwendigkeit unterstreichen, gesündere Arbeitsstrukturen und ein besseres Bewusstsein zu fördern, von dem alle Beteiligten in der Lieferkette profitieren können.

Modefotografin Caroline Kynast über Authentizität und den Druck der Perfektion

Caroline Kynast, eine leidenschaftliche Autodidaktin in der Fotografie, wurde durch Ihre Marketingexpertise zur internationalen Streetstyle- und Fashionfotografin. Ihr Weg war nicht immer einfach, doch ihre kreative Expertise und Fähigkeit, unverfälschte Momente einzufangen, zeichnen sie aus. Zuletzt fotografierte sie für Vogue.com die Streetstyle-Trends auf der Berlin Fashion Week.

Was hat Dich ursprünglich zur Modefotografie gebracht und was hast Du damals von der Modebranche erwartet?

Ich würde mich als klassische Quereinsteigerin bezeichnen. Eine Marketingkundin, für die ich Content-Konzepte schrieb, brachte mich dazu, selbst zur Kamera zu greifen, als andere Fotografen:innen meine Vision nicht umsetzen konnten. Anfangs erwartete ich, dass die Modebranche mehr Sichtbarkeit und Anerkennung für Frauen bieten würde. Leider musste ich feststellen, dass Kolleginnen in der Pressefotografie oft nicht ernst genommen werden. Es war ein harter Einstieg, aber ich habe gelernt, mich durchzusetzen und dabei meinen eigenen Stil zu finden.

“Meine Streetstyle-Bilder sind echte Momentaufnahmen, keine gestellten Szenen.”


Wie viel Authentizität bleibt in inszenierten Modebildern und Streetstyle-Fotografien erhalten? 

Für mich ist Originalität das A und O. Meine Streetstyle-Bilder sind echte Momentaufnahmen, keine gestellten Szenen. Auch bei Editorials sind es oft die ungeplanten Augenblicke zwischen den Posen, die letztlich in die Magazine kommen. Die Glaubwürdigkeit leidet, wenn nur bekannte Influencer:innen abgelichtet werden. Ich versuche, die echte Persönlichkeit der Menschen einzufangen und nicht nur eine perfekte Fassade zu zeigen.


Was siehst Du, wenn Du Deine fertigen Bilder betrachtest? Die abgelichteten Personen, Dich selbst oder Deine kreative Vision als Fotografin? 

Wenn ich meine fertigen Bilder betrachte, sehe ich, wie alles zusammenwächst. Ich erinnere mich an die besonderen Situationen während des Shootings und spüre, wie sich meine kreative Vision in den Bildern widerspiegelt. Gleichzeitig sehe ich die Persönlichkeiten der fotografierten Menschen und die einzigartigen Geschichten, die jedes Bild erzählt. Jedes Foto ist eine Erinnerung an eine Zeit, in der es entstanden ist und trägt die Emotionen und Erlebnisse dieses Augenblicks in sich.

Inwiefern denkst Du, dass Deine Fotografien dazu beitragen können, die Selbstwahrnehmung und Sichtbarkeit der Menschen in der Modebranche zu beeinflussen? 

Ich möchte Gefühle und Bewegung einfangen, weg von der Perfektion hin zu aufrichtigen Momenten. Betrachterinnen und Betrachter sollen länger hinschauen und Details entdecken, die sonst untergegangen wären. Das kann die Selbstwahrnehmung der abgebildeten Personen positiv beeinflussen. Es ist wichtig, dass Menschen sich in den Bildern wiedererkennen und nicht nur eine idealisierte Version von sich selbst sehen.

Wie gehst Du mit dem Druck um, perfekte Bilder zu liefern oder engen Deadlines zu folgen, und wie beeinflusst das Deine Kreativität und Dein Wohlbefinden während der Arbeit? 

Die Belastungen, vor allem bei Fashion Weeks, sind enorm. Schlafmangel und ständiger Perfektionsdruck haben mich schon ins Krankenhaus gebracht. Ich habe gelernt, meine Kund:innen sorgfältiger auszuwählen und auf Menschlichkeit und Respekt zu achten. Dadurch geht es mir besser und meine Arbeit profitiert davon. Es ist wichtig, sich selbst nicht zu verlieren und sich Zeit für Erholung zu nehmen.

Journalistin Alexandra Bondi de Antoni über inspirierende Geschichten und persönliche Grenzen

Alexandra Bondi de Antoni, eine engagierte Journalistin, findet Erfüllung darin, Geschichten zu erzählen und Menschen eine Plattform zu geben. Ihre Arbeit ist geprägt von der Suche nach Sinnhaftigkeit sowie der Förderung von Diversität und Inklusivität in der Modebranche. Mit Sitz in Berlin beschäftigt sie sich zudem intensiv mit dem Schnittpunkt von sozialen und politischen Themen, Popkultur und Mode.

Was hat Dein Interesse am Journalismus geweckt und welche Aspekte Deines Jobs erfüllen Dich am meisten?

Das Feld des Journalismus hat mich aufgrund seiner Fähigkeit, Geschichten zu vermitteln und Menschen eine Stimme zu geben, stark angezogen. Während meiner Zeit bei i-D habe ich viel gelernt. Ihr Motto „we don’t hate, we celebrate“. Danach arbeite ich bis heute. Das Gefühl, dass meine Arbeit Menschen bewegen und erreichen kann, ist für mich unbezahlbar.

Gibt es eine Geschichte oder einen Artikel, der Dich besonders berührt oder Deine Sichtweise auf die Modebranche und deren Menschen verändert hat? 

Der Artikel 'Everywhere and Nowhere' bei „The Cut“ über die Erfahrungen Schwarzer Menschen in der Modebranche hat meine Sichtweise stark beeinflusst. Auch das VOGUE Cover mit der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer spiegelt eine wichtige Entwicklung und hat mich sehr berührt. Solche Erzählungen zeigen die Tiefen und Höhen der Branche und erinnern mich daran, warum ich diesen Beruf gewählt habe.

"Diversität und Inklusivität sind für mich keine Buzz-Wörter, sondern elementar wichtig für eine gerechtere Zukunft."


Angesichts der Bemühungen um mehr Diversität und Inklusivität in der Modewelt: Wie gelingt es Dir, Raum für Themen oder Menschen zu schaffen, um ihnen Sichtbarkeit zu verleihen? 

Als freie Journalistin bin ich auf Redaktionen angewiesen, die meine Ideen unterstützen. Diversität und Inklusivität sind für mich keine Buzz-Wörter, sondern elementar wichtig für eine gerechtere Zukunft. Es ist eine ständige Diskussion, aber ich finde immer Wege, diese Themen zu platzieren.

Welche Signale deuten darauf hin, dass die beruflichen Anforderungen Dein persönliches Wohlbefinden beeinträchtigen könnten, und wie gehst Du damit um? 

Ich lerne, die Zeichen meines Körpers zu deuten und frühzeitig die Notbremse zu ziehen. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Es ist wichtig, Ruhe zu finden und sich abzugrenzen, wenn es nötig ist. Pausen sind entscheidend für mein Wohlbefinden. Ich habe verstanden, Nein zu sagen und Prioritäten zu setzen, um meine mentale Gesundheit zu schützen.

Hat Deine Arbeit als Journalistin Deine Wahrnehmung von Mode und Identität beeinflusst? 

Ja, definitiv. Früher sah ich nur den Glamour der Modebranche. Jetzt erkenne ich, wie kaputt das System ist und welche Herausforderungen es birgt. Mode kann inspirieren und Veränderungen anstoßen, aber sie kann auch belastend sein. Meine Arbeit hat meine Sichtweise tiefgreifend verändert und mir gezeigt, dass wahre Schönheit und Bedeutung weit über die Oberfläche hinausgehen.

Model Whitney Kiala über Selbstakzeptanz und Repräsentation

Whitney Kiala, ein Model mit einer starken Stimme für Vielfalt und mentale Gesundheit, nutzt ihre Plattform, um neue Schönheitsideale zu schaffen und andere zu inspirieren. Ihre Karriere begann neugierig und naiv, doch sie hat schnell begriffen, dass Akzeptanz und Selbstliebe der Schlüssel zum Erfolg sind. Durch ihre Arbeit strebt sie danach, dass jeder Mensch, unabhängig von äußeren Merkmalen, sich in der Modebranche repräsentiert fühlen kann.

Was war Deine erste Wahrnehmung von der Modebranche, als Du Deine Karriere begonnen hast, und wie hat sich dieser Eindruck über die Jahre verändert? 

Zu Beginn war ich sehr unerfahren und enthusiastisch, dachte, es wäre ein einfacher Beruf. Die Realität war härter, als ich erwartet hatte. Ablehnung und der Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen, haben mein Selbstbewusstsein beeinträchtigt. Heute weiß ich, dass man in dieser Branche nur bestehen kann, wenn man sich selbst liebt und akzeptiert. Es war und ist ein harter Lernprozess, aber es hat mich stärker gemacht.

"Durch soziale Medien können Models mehr als nur ihre äußere Erscheinung präsentieren."


Wie hat sich Dein Umgang mit dem Fokus auf Deine äußere Erscheinung im Laufe Deiner Karriere verändert? 

Anfänglich stellte dies tatsächlich eine Herausforderung dar. Mittlerweile gehe ich damit gelassen um. Als Model habe ich mir angeeignet, verschiedene Facetten meiner selbst zu zeigen. Heutzutage spielt jedoch auch meine innere Stärke eine immer wesentlichere Rolle. Durch soziale Medien können Models mehr als nur ihre äußere Erscheinung präsentieren. Die wachsende Wertschätzung für die persönliche Geschichte hinter dem Gesicht ist eine positive Entwicklung. Daher ist es mein Ziel, über meine Plattform meine wahre Seite und Individualität zu zeigen.

Welche Rolle spielt Deine Identität und Dein kultureller Hintergrund in Deiner Arbeit als Model, und wie beeinflusst das Deine Sichtweise auf die Modebranche? 

Meine Identität motivierte mich zum Modeln. Es fehlt an Repräsentation, und ich möchte neue Schönheitsideale schaffen. Die systematische Ablehnung Schwarzer Frauen hat meinen Willen gestärkt, sichtbar zu sein und Hoffnung zu geben. Trotz Fortschritten gibt es noch immer viele Hindernisse, die überwunden werden müssen. Ich setze mich mit dafür ein, dass Vielfalt die Norm wird und nicht die Ausnahme.

Hast Du jemals das Gefühl gehabt, dass bestimmte Aspekte Deiner Persönlichkeit oder Deines Lebens absichtlich unsichtbar gemacht werden, und wie gehst Du damit um? 

Als Model finde ich mich oft in verschiedenen Rollen wieder, aber ich schätze ebenso die Jobs, bei denen ich selbst sein kann. Es ist Teil meines Berufes, wandelbar zu sein, aber es gibt auch Momente, in denen mein wahrer Charakter gefeiert wird. Diese Balance ist wichtig für mein Wohlbefinden. Es geht darum, die richtigen Projekte zu wählen und sich nicht verbiegen zu lassen.

Nutzt Du bewusst Deine Plattform und Sichtbarkeit, um andere zu inspirieren und für Themen wie mentale Gesundheit und Diversität zu sensibilisieren? 

Dem muss ich entschieden zustimmen! Meine Präsenz auf Plattformen wie den sozialen Medien und die von anderen Models mit PoC-Hintergrund inspirieren die nächste Generation. Wir zeigen unser Durchhaltevermögen und ermutigen andere dazu, an sich zu glauben und für ihre Sichtbarkeit zu kämpfen. Themen wie mentale Gesundheit und Diversität liegen mir besonders am Herzen. Ich setze mich dafür ein, dass meine Geschichte anderen Mut macht und beweist, dass trotz aller Herausforderungen Erfolg möglich ist. Lange Zeit fühlte ich mich aufgrund meiner Gesichtsnarbe unsicher – in Modemagazinen habe ich vergeblich nach Vorbildern gesucht.