Pressemitteilung
Interview mit Nachhaltigkeitsexpertin Arianna Nicoletti
Sie arbeiten für Circular Berlin, einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit - was motiviert Sie bei Ihrer täglichen Arbeit?
Bei Circular Berlin haben wir einen praktischen Ansatz für das Thema Kreislaufwirtschaft. Ich denke, eine große Motivationen für mich ist definitiv die praktische Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten, was auch bedeutet, dass wir konkrete Ergebnisse sehen können.
Sie sind auch Mitbegründer des A-GAIN GUIDE Projekts: Können Sie uns etwas darüber erzählen?
Sicherlich! Der A-GAIN GUIDE ist eine digitale Plattform für eine nachhaltigere Nutzung von Kleidung. Ich bekomme viel zu oft Fragen wie: "Was kann ich mit meinen alten Klamotten machen?", "Ist es besser, fleckige Kleidung an eine Wohltätigkeitsorganisation zu spenden oder sie in einem Second-Hand-Laden abzugeben?", "Ich würde meine Kleidung reparieren, wenn ich wüsste, wie".
Mit dem A-GAIN GUIDE wollen wir diese Fragen beantworten und allen Berlinern helfen, die Lebensdauer ihrer Kleidung zu verlängern. Die Plattform umfasst ein Mapping von Second-Hand-Läden, Upcycling-Designern, Textilsammlern, Kleidercontainern und Textilrecyclern. Durch den Filter können die Besucher die besten Optionen in ihrer Nähe finden oder direkt die gewünschten Dienstleistungen auswählen. Im Februar 2022 wird ein richtiger interaktiver Führer die Plattform vervollständigen und wir denken darüber nach, auch einen CO2-Einsparungsrechner hinzuzufügen!
Gab es für Sie einen Schlüsselmoment, der Sie dazu veranlasste, A-Gain ins Leben zu rufen?
Als ich vier Jahre lang im Sortierzentrum und in den Secondhand-Läden der Berliner Stadtmission gearbeitet habe, habe ich so oft erlebt, wie Menschen ihre Altkleider loswerden, ohne darüber nachzudenken, wo und unter welchen Bedingungen sie sie spenden. Einige Beispiele: Sie spenden Frauenkleidung in Teenagergrößen an eine Kleiderkammer, wo meist nur Männerkleidung in größeren Größen und wärmende Materialien benötigt werden. Oder sie spenden Säcke voller nasser Kleidung aus dem Keller. Oder auch Kleidung, die mit Katzen- oder Hundehaaren bedeckt ist. Aus diesen Erfahrungen heraus entstand die Idee zum A-GAIN GUIDE. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem die Bürgerinnen und Bürger im Voraus prüfen können, welche Möglichkeiten es für ihre Altkleider gibt, aber auch, welche Art von Kleidungsstücken von den Wiederverkäufern oder Recyclern angenommen wird.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Akteure und Initiatoren in Berlin, wenn es um die Kreislaufwirtschaft geht?
Das Ökosystem der Kreislaufwirtschaft in Berlin ist riesig. Von Zero-Waste-Konzepten bis hin zu Wiederverkaufsunternehmen, Abfallmanagement und Logistik - manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Stadt einfach aus Innovatoren besteht!
Im Textilsektor gibt es eine Reihe von Unternehmen, die in größerem Maßstab etwas bewirken wollen, wie circular.fashion mit ihrer Circularity.ID und ihrer Transparenzsoftware oder Kleiderly, das synthetische Kleidungsstücke recycelt. Neben den größeren Akteuren gibt es eine Vielzahl von Pionieren, die auf verschiedenen Ebenen hervorragende Arbeit leisten. Einige Beispiele: Der Textilhafen bietet einen Materialpool für Upcycling-Designer an, bei dem sie Secondhand in den benötigten Mengen und Qualitäten einkaufen können. Urban Fibers verwandelt ausrangierte Kleidungsstücke in recycelte Garne. New Blue experimentiert mit einer innovativen Technik zur Wiederverwertung von Denim. Neben den Innovatoren gibt es noch mehr als tausend unabhängige Unternehmen, die sich mit der Reparatur, dem Upcycling, der Änderung, der Reinigung, dem Sammeln, dem Sortieren und dem Wiederverkauf von Kleidungsstücken und Accessoires beschäftigen. Alle diese Akteure sind gleichermaßen wichtig, da sie für das Funktionieren des Systems synergetisch zusammenarbeiten müssen.
Seitdem es ein größeres Bewusstsein für Umweltschutz und Nachhaltigkeit gibt, wird auch zunehmend Greenwashing praktiziert - wie können sich die Verbraucher darüber informieren und schützen?
Greenwashing wird tatsächlich zu einem der größten Probleme, wenn es um nachhaltigen Konsum geht. Für die Verbraucher ist es unglaublich schwer, sich im Dschungel der gefälschten Angaben und Informationen auf Schaufenstern und Kleidungsetiketten zurechtzufinden. Mein Rat ist, immer zu FRAGEN. Wenn Sie dem Personal in dem Geschäft, in dem Sie Kleidung kaufen möchten, direkt Fragen stellen, können Sie sehr leicht feststellen, ob die Unternehmenskultur Transparenz und Aufklärung über Nachhaltigkeitsthemen beinhaltet. Auch in kleineren Ateliers und unabhängigen Geschäften können Sie nach Materialien, Herstellern und Produktionsstandorten fragen. Auf diese Weise geben Sie nicht nur ein wichtiges Statement ab - dass Sie als Verbraucher das Recht haben, es zu erfahren -, sondern Sie entwickeln gleichzeitig eine Verbindung zu den Kleidungsstücken, die Sie kaufen, und zu den Geschichten, die dahinter stehen.
Wie lassen sich Slow Fashion und das Bewusstsein für Modetrends unter einen Hut bringen? Wie können Unternehmen trotzdem profitabel bleiben?
Das Konzept der "Rentabilität" muss neu überdacht werden. Wenn wir das Leben und die Ressourcen auf unserem Planeten erhalten wollen, müssen sich die Modeunternehmen an neuen Werten orientieren. Profit sollte mit der Regeneration der Natur, der Dekarbonisierung und einer tieferen Verbindung zu unseren eigenen Kulturen und unserem Erbe verbunden sein. Wir brauchen eine Industrie, die ganzheitlich arbeitet, um für die Gesellschaft und die Natur von Nutzen zu sein. Wir können das nicht umgehen.