Interview Estethica / 202030

Hallo Carina, hallo Magdalena, hallo Max, vielen Dank für eure Zeit!

Bevor wir beginnen, könnt ihr euch und eure Projekt für unsere Leser:innen vorstellen.  Wofür steht ihr? (An Estethica: Wie kam es zur Umbenennung?)

Carina: Estethica wurde ursprünglich 2006 zusammen mit dem British Fashion Council ins Leben gerufen und schafft einen kreativen Raum für verantwortungsbewusste Mode. Estethica steht für Innovation, Inklusivität, Vision und gilt als Vorreiter für nachhaltiges Denken. Seit der Gründung wurden Marken wie Katharine Hamnett, People Tree, Carla Fernandez, Veja und Dr. Noki unterstützt und die Karrieren von Designern wie Christopher Raeburn und Clare Farrell, die später Extinction Rebellion mitbegründete, sowie bahnbrechende Plattformen wie Bruno Pieters' Honest by ins Leben gerufen. Wie die Mode haben sich auch die einzelnen Projekte in den letzten beiden Berlin Fashion Week Saisons weiterentwickelt und verändert. Nach dem erfolgreichen Fashion Open Studio Programm der letzten Saisons wird nun das Estethica Programm, dass von Fashion Revolution Germany geleitet wird,  umgesetzt. In dieser Saison der Fokus jedoch stärker auf der praktischen Unterstützung der Designer*innen und der Kollektionsumsetzung – etwa durch Mentoring-Sessions und Verbindung unseres Berliner Upcycling Netzwerks.

Max: Vielen Dank für die Gelegenheit dieses Interview zu führen. Wir freuen uns sehr, dass auch unsere langjährige gemeinsame Mitstreiterin und enge Kollegin Carina dabei ist. Wir stehen für Nachhaltigkeit und zwar für eine ganzheitliche Nachhaltigkeit, das inkludiert alles mögliche an Faktoren die die Nachhaltigkeit auf ökologischer und sozialer Ebene für ein Produkt oder für Prozesse definieren und da versuchen wir einfach so tief und breit wie möglich zu gucken. Alles was mit beeinflusst. sofern es denn auch relevant ist, mit zu bedenken. Das ist natürlich die große Komplexität, die allgemein hinter Nachhaltigkeit steht. Und dann stehen wir auch dafür, dass es jetzt und in Zukunft noch viel mehr um kulturelle Nachhaltigkeit gehen muss. Um die Nachhaltigkeit der Umsetzung sozusagen. Und Umsetzung passiert über Kultur. WIr haben die Konsumkultur die sich verändern muss, wir haben die Arbeitskultur die sich verändern muss, wir haben Gesprächskultur die sich weiter verändern muss und in all diesen Ebenenen, wo menschliches Verhalten ja auch definiert wird über die Gesellschaft und über kulturelle Beziehungen zu Anderen und über die Anwendungen von kulturellen Modis dort entsteht eigentlich erst Nachhaltigkeit. Vorher ist das alles Theorie, die schön klingt auf Papier und wichtig für Diskurse ist, um sich weiterzuentwickeln. Aber um tatsächlich dem Klimawandel entgegenzuwirken, müssen wir uns auf die Kultur konzentrieren. Und da sehen wir die Kultur- und Kreativindustrie, die ja in Berlin besonders stark ist, als einen sehr wichtigen Zweig, um all die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte in eine positive Vision, also eine alltagsmögliche Umsetzung zu bringen.

Was hat euch dazu bewegt das Format im Rahmen der BFW zu gründen?

Carina: Es ist weniger eine Gründung sondern ein Relaunch. Nach einer Pause von acht Jahren und zum ersten Mal in Berlin tritt Estethica auf – mit neuem Wissen, neuen Talenten und neuen Ideen. Damit fordern wir die Branche weiterhin zu besseren Leistungen heraus. Denn die Modebranche steht aufgrund ihrer Größe und ihres Einflusses auf Menschen und Natur vor immensen Herausforderungen, die innovative Lösungen brauchen. Und diese finden sich häufig dort, wo man noch nicht hingesehen hat. Genauso wie die Stimmen, die wir hören müssen, nicht diejenigen sind, die momentan reden. Diesen wollen wir mit Estethica eine Plattform bieten.

Max: Das war eine sehr natürliche Entwicklung. Wir sind ansässig in Berlin bereits seit vielen Jahren dabei, die Nachhaltigkeits Szene weiterzuentwickeln, natürlich als einer von vielen, aber auch als sehr relevanten Akteuren, die schon immer ihre Stimmen für Ganzheitlichkeit und Inklusion stark gemacht haben aus dieser natürlichen Umgebung heraus sozusagen fühlt es sich für uns ganz logisch an, dass wir auch hier mit diesem wichtigen Format progressive Denker und Macher zusammen bringen wollen und wo wir immer an der Vorderfront der Nachhaltigkeitsentwicklung im Sinne von: Was sind wirklich die richtigen Lösungen, was sind die Problemstellungen und mit welchen gemeinsam erarbeiteten (zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie) Ansätzen kann man an die Sachen herangehen. Das macht alles ganz besonders Sinn hier in Berlin.

Welche Erfolge resultieren bereits aus euren Initiativen (ihr seid ja bereits seit mehreren Saisons fester Bestandteil der Berlin Fashion Week), die euch heute besonders stolz machen?

Carina: Wir freuen uns, dass wir die Verbindungen mit unseren Partnern 202030 – The Berlin Fashion Summit, MBFW, POOL und weiteren Partnern ausbauen konnten und sich die Zusammenarbeit mit den Designer*innen immer mehr vertieft. Durch die Kollaborationen von verschiedenen Akteuren in Berlin zu denen auch die Berliner Stadtmission und das Haus der Materialisierung zählen, schaffen wir einen besseren Zusammenhalt und treten als Einheit nach außen auf. Aus einer spontanen Hilfsaktion für den Designer Jean Gritsfeldt entstand in der letzten Saison eine außergewöhnlicher Show zum Abschluss der Berlin Fashion Week. Dieses Projekt ist ein Zeichen für unser Netzwerk, das wir inzwischen aufgebaut haben. Und es zeigt, was Berlin zu bieten hat: Dass es nicht nur um fertige Produkte geht, sondern auch um den Weg, dorthin zu kommen.

Magdalena: Ich denke, dadurch, dass wir schon 2009 mit unserer ersten Initiative, dem Green Showroom in Berlin gestartet sind, haben wir schon sehr viele Menschen erreicht über unsere Veranstaltungen. Das macht mich persönlich stolz, dass wir durch die vielen Veranstaltungen, und jetzt auch den 202030 - Berlin Fashion Summit, den wir zum vierten Mal im September durchführen werden, auch der Berlin Fashion Week damit ein Profil geben, das andere Fashion Weeks nicht haben können. Aus meiner Perspektive ist die Berliner Fashion Week auf jeden Fall die authentische grüne Fashion Week, weil wir so viele nachhaltige Labels präsentiert haben und das Thema Nachhaltigkeit auch auf anderen Foren diskutiert wird, aber dadurch, dass hier eben diese konzeptionellen Formate stattfinden, die sich tatsächlich nur auf das Thema und fundiert mit dem Thema auseinandersetzen, ist die BFW schon was ganz Besonderes, was es so im europäischen Kontext einfach nicht gibt und auch nicht mit dieser Geschichte.

Sowohl 202030 als auch Estethica haben es sich zur Aufgabe gemacht, kreative Köpfe vor allem mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit/Innovation über Ihre Plattformen zusammenzubringen. Warum ist diese Art der Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren in der Branche so wichtig?

Carina: Nur im Zusammenhalt kann man zeigen, was Berlin zu bieten hat. In Berlin gibt es so viele einzelne Akteure, die gemeinsam viel erreichen können. Doch dafür müssen die Konversation um Nachhaltigkeit nicht parallel sondern an einem Tisch stattfinden. So können wir alle in eine Richtung arbeiten und positiven Wandel schneller voranbringen.

Max: Diese Art der Kommunikation - frei, offen, kreativ, gar lustvoll zu denken und die vielen Herausforderungen vor uns nicht einfach nur negativ zu bewerten, sondern anzugehen und positiv neue Lösungen zu finden und umzusetzen, sehen wir als ganz wichtige Basis, um in dieser Dekade, die so wichtig ist, grundlegende Aktionen gegen den Klimawandel endlich an den Start zu bringen, sehen wir als besonders wichtig. Diese Kommunikation des Zusammenbringens, aber auch des Inspirierens dabei und nicht nur an den Fakten sich auszurichten, sondern auch positive Visionen und Passionen aufzubauen, sehen wir als besonders wichtig. Die EU hat mit der Idee des “New European Bauhauses”, mit dem vor allem betont wird, dass die Kultur-und Kreativbranche eine wichtige Rolle dabei spielt, Nachhaltigkeit in den nächsten Jahren umzusetzen.

Hat sich durch den anhaltenden Ukraine-Konflikt die Zusammenarbeit auf (inter)nationaler Ebene in eurem eigenen Netzwerk verändert? Wenn ja, inwiefern?

Carina: Ja, wir haben mit unserem Netzwerk recht schnell Unterstützung organisiert. Wir verstehen Mode als Spiegel der Gesellschaft, deshalb ist es umso wichtiger auch auf aktuelle Ereignisse einzugehen und sie nicht auszuklammern. In dieser Saison haben wir mit 4 ukrainischen Designerinnen zusammengearbeitet und nun ein Mentoring-Programm auf die Beine gestellt, das ihnen ermöglicht, mehr in den Retail-Bereich zu kommen. Außerdem haben wir sie mit Fotografen, Beratern und weiteren Kontakten aus der Szene vernetzt und unterstützen sie so gut es geht bei der Logistik, Produktion und Sourcing-Problemen, damit sie ihre Unternehmen langfristig weiterführen können.

Ihr seid nicht zum ersten Mal als Partner der BFW dabei. Was macht die BFW so einzigartig und worauf freut ihr euch besonders?

Carina: Für uns ist es schön zu sehen, wie die einzelnen Akteure zusammentreffen und sich die Formate kontinuierlich weiterentwickeln und vertiefen. Durch die Berlin Fashion Week verstärkt sich die Kooperation untereinander und wir haben so ein Netzwerk aufgebaut, das langfristig zusammenarbeitet. Da in Berlin die Dichte an High Fashion Brands nicht so hoch ist, kann man mit Formaten wie Estethica auch noch sehr gut ansetzen und zukünftig ausbauen.

Magdalena: Ich habe es eben schon mal gesagt: Die BFW lebt eben von den vielen unabhängigen und Avantgarde-Formaten, aber auch von dem sehr starken Schwerpunkt Nachhaltigkeit, der hier auch in anderen Formaten neben dem 202030 - The Berlin Fashion Summit dargestellt wird. Die Esthetica Präsentation, die jetzt im Rahmen des Summit stattfindet, aber auch auf den klassischen Formaten werden die Themen gezeigt, besprochen und tolle Designer ins Rampenlicht gerückt.  Das ist das, worauf ich mich auch freue und auf die ganz tollen Netzwerk-Events, die durch den Fashion Council organisiert werden, auch gefördert durch die Senatsverwaltung, denn genau bei diesen Netzwerkveranstaltungen, wie es ja der Summit am Ende auch ist und bei den persönlichen Gesprächen, bei dem persönlichen Austausch entstehen eben neue Verbindungen, Ideen und auch am Ende neue Zusammenarbeit und das ist auch wichtig, wenn man denkt, wie Business funktioniert. Auch Business ist eine Art von Zusammenarbeit und eine Art von Kollaborationen und diese gehört es eben zu unterstützen und dafür die Räume und Plattformen zu bieten, dass das auch gut und fruchtvoll passieren kann. Wenn ich auf die Geschichte der BFW zurückblicke, dann denke ich, dass sich die Fashion Week über die Corona Zeit und das Nichtstattfinden der großen Trade Fairs schon nochmal stark verändert hat und nochmal eine neue Ausrichtung bekommen hat. Also zum einen sind auch noch andere Themen in den Vordergrund gerückt, wo die Grundsteine sozusagen auch schon gelegt waren. Also das Fashion Tech Thema war ja auch schon davor da und wurde dann nochmal weiter gespielt, auch durch Präsentationen im Metaverse, das Thema Nachhaltigkeit natürlich, aber auch die Förderung von jungen Talenten ist stärker in den Vordergrund gerückt, was mir persönlich sehr gut gefällt und insgesamt hat auch die BFW noch mehr einen avantgardistischen Anstrich oder eine Erscheinung bekommen. Das finde ich persönlich auch sehr spannend. Auch wie sich die Mercedes Benz Fashion Week weiterentwickelt hat. Ich freue mich jetzt eine neue Location mitzuentdecken. Das Alte Telegrafenamt ist ja bekannt durch Clubs, die da schon stattgefunden haben. Ich als lange in Berlin lebende Person kenne solche Orte natürlich auch aus anderen Zusammenhängen, was natürlich immer schön ist, wenn man sie wieder neu bespielt sieht. Und ich finde, dass auch die Zusammenarbeit eine andere Qualität bekommen hat. Wir sind doch besser vernetzt, stärker im Austausch und man merkt auch, dass das Thema ankommt bei anderen und man Probleme und die großen Fragen unserer Zeit nur zusammen angehen kann. 

Wie hat sich die BFW in den letzten Jahren verändert? Und wie ist die Zusammenarbeit mit den anderen Partnern, wie z.B. zwischen euch und auch z.B. mit MBFW?

Carina: Vor ein paar Saison gab es viel weniger Nachhaltigkeitspanels und Diskussionen bei der Berlin Fashion Week. Inzwischen bekommt das Thema viel mehr Aufmerksamkeit und der Austausch über eine umweltverträglichere und fairere Modebranche wird immer intensiver. Nachhaltigkeit ist inzwischen zum festen Bestandteil der Modewoche herangewachsen und kann es sich auch zukünftig noch mehr auf die Fahne schreiben.

Was sind eure Erwartungen und Wünsche für die Zukunft der BFW?

Carina: Wir wünschen uns vor allem, dass wir einen einheitlichen Standort haben, der ein permanentes Zuhause für die  Berlin Fashion Week ist und dass dies auch zur gleichen Zeit stattfindet. Die Zersplitterung von Events macht es schwerer, alle Stakeholder zusammenzubringen. Dabei brauchen wir genau diesen einen Ort, an dem wir als Branche gemeinsam an Lösungen arbeiten können. Neben unseren bisherigen Partnern sind wir sehr offen für neue Kooperationen, die uns dabei unterstützen, die Sichtbarkeit der einzelnen Labels voran zu bringen.

Magdalena: Ich hoffe und wünsche mir für die BFW, dass sie wieder zu größerer internationaler Strahlkraft zurückfindet, aber auch, dass das, was sich jetzt in der Corona-Krise entwickelt hat, nicht verloren geht. Also wenn Berlin vor Corona auch stark durch die Business Trade Shows geprägt war, finde ich das, was inzwischen dazugekommen ist an kleineren (kreativen) unabhängigen Formaten, avantgardistischen Designern, die Fashion Week, die in der Stadt stattfindet, mit dem Studio2Retail-Konzept und den hochwertigen Netzwerk-Events, die stattfinden – das alles soll bitte weiter gestärkt und noch größer nach draußen getragen werden und natürlich soll die Nachhaltigkeit das große Thema und auch der USP für die Berlin Fashion Week sein. Es ist hier angelegt, auch dadurch, dass wir hier schon viele Jahre Veranstaltungen zu dem Thema gemacht haben, ist es wirklich ein Teil der Identität und eine authentische Ausrichtung der ganzen BFW. Ich denke, es gibt auch Ideen, wie man strategisch noch mit der Fashion Week weiterarbeiten kann und wir würden uns auch sehr freuen, da weiter im Austausch und in Kontakt zu bleiben.

Die BFW steht im Zeichen der Nachhaltigkeit. Seht ihr, dass eure Formate zumindest bei Branchenvertreter:innen Gehör finden? Gibt es Resultate/Formate/Kooperationen, die ggf. aus 202030 und Estethica entstanden sind?

Carina: Bei Branchenvertretern haben wir ganz klar Gehör gefunden. Neben den Fachleuten wird aber auch die Öffentlichkeit mit einbezogen. Uns war es wichtig, diese von Anfang an mit einzubeziehen, denn der Konsument bestimmt das Angebot und deshalb ist es eine sehr relevante Zielgruppe für uns. Außerdem freuen wir uns sehr mit Estethica und Fashion Revolution Germany, zu den ersten Mitglieder des VORN – The Berlin Fashion Hub zu zählen und werden das auf der Berlin Fashion Week gemeinsam feiern.

Max: Auf jeden Fall sehen wir, dass die Signale zum Thema Nachhaltigkeit, die auch aus der Berlin Fashion Week aus verschiedenen Ecken hervorkommen, Gehör finden. Es ist klassischerweise schwierig, insbesondere auch für die deutschsprachige Textil-und Modebranche, die sehr konservativ aufgestellt ist auf vielen Ebenenen, sehr auf Einzelhandel, auf Volumina und eher Basics ausgerichtet ist, also weniger ein emotionalisierter Modemarkt als oft mehr ein pragmatischer Bekleidungsmarkt ist, dort in diesen Markt hinein zu wirken. Aber die Zeit dafür ist reif. Man sieht durch die Rahmenbedingungen die auch im ganz großen, wie der EU Textilstrategie die in neue Regularien und Gesetze übersetzt wird, dass die natürlich auch einen Druck aufbaut. Man sieht auch, dass die Branche mittlerweile einfach gemerkt hat, dass es auch für sie der eigentlich einzige Weg in die Zukunft ist. Es besteht noch große Unsicherheit darüber wie, vor allem auch, wie die nötigen Investitionen gestemmt werden können über die nächsten Jahre, aber eigentlich besteht doch kein Zweifel mehr daran, dass eine nachhaltige Entwicklung nötig ist. Ob es konkrete Resultate aus dem 202030 - Summit oder Estethica gibt, ist schwer zu beurteilen, allerdings haben sich die Gespräche komplett gedreht. Wir haben einen noch viel leichteren Zugang zu Sprecher:innen und Vertreter:innen von Firmen in Deutschland, aber auch weltweit, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Also, Bedarf und Dringlichkeit innerhalb der Industrie sind deutlich vorangekommen. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten 2 Saisons auch deutlich mehr Kooperationen mit der Industrie manifestieren können. Dass, das, was bisher mehr in Hintergrundgesprächen stattfindet, sich dann, im Idealfall, auch bereits konkrete Formate zur Berlin Fashion Week im Januar 2023 sehen kann.

Wo seht ihr weiterhin extremes Potenzial und Handlungsbedarf? Was hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt?

Carina: Handlungsbedarf sehen wir vor allem bei der Internationalen Kommunikation, um unsere Identität als weltweit anerkannte Fashion Week zu schärfen und einheitlich aufzutreten. Das Eco-Fashion Thema trifft den Zeitgeist, aber wir müssen noch aktiver Handeln, damit wir die Klimaziele einhalten können.

Max: Extremes Potenzial sehen wir in der Zusammenarbeit. Das ist nach wie vor ein schwieriges Thema, gerade in der Modebranche, wo der Konkurrenzdruck so hoch ist. Wenn die richtigen Partner zusammenfinden und auch die Partnerschaft richtig gemanagt und designt wird, so dass sie funktioniert, dann hat die Zusammenarbeit auch das größte Potenzial. Der größte Handlungsbedarf ist tatsächlich an allen Stellen, der ist natürlich so gesehen aus unserer Sicht auch der, dabei in die Zusammenarbeit zu kommen. Wie funktioniert Marketing. Wie Verkaufsbotschaften ausgespielt werden. Wie Greenwashing eine immer größer wachsende Problematik wird. Wie die Versprechungen der Nachhaltigkeit zu lapidar genutzt werden, um unklare Botschaften zu senden und die Kosument:innen zu verwirren. Es geht aber genauso sehr um die Anfänge der Lieferketten, welche Materialien wir benutzen, es müssen deutlich nachhaltigere Materialien in die Industrie eingeführt werden, tendenziell die gesamte Nylon- und Polyester-Industrie in eine nachhaltige verwandelt werden. Das heißt nicht nur recyceltes Polyester, sondern eigentlich gar kein Polyester mehr, welches auf Basis von Rohöl entsteht, sondern nur noch auf Basis von natürlichen Ressourcen entsteht, kompostierbar und meerestauglich ist. Es geht darum, dass die ganzen sozialen und kulturellen Themen entlang der Lieferkette als der Handlungsdruck wächst, überproportional zu dem, was bereits passiert. Und in den letzten Jahren hat sich alles sehr positiv entwickelt. Es gibt viel mehr gerade junge Menschen, die sich mit Start-ups oder auch in etablierten Unternehmen dafür einsetzen, neue Lösungen zu finden oder halt schon entstandene Lösungen in die Anwendung zu bringen und Erfahrungen zu sammeln. Es gibt sehr viel Hoffnung, die man aus vielen dieser Projekte ziehen kann, es ist nur noch nicht alles skaliert. Es bleibt die spannende Frage für die nächsten Jahre, wie das Ganze gelingen wird und wir die richtigen Dinge skalieren. Am Ende des Tages ist die vielleicht größte Frage: Was ist ein nachhaltiges Produkt? Denn wenn man sich das ganzheitlich und wissenschaftlich anguckt, gibt es noch keine Antwort auf diese Frage.

Welche Trends im Bereich Sustainable Fashion sollten wir in Zukunft noch stärker fokussieren? Welche Herausforderungen seht ihr?

Carina: Kollaboration, Inklusion, Diversity und HANDELN. Nicht nur über Zukunftsthemen sprechen sondern ins Handels zu kommen, ist eines der wichtigsten Themen. Obwohl ich bei diesen Themen eher weniger von Trends sprechen würde, die kommen und gehen, sondern von gesellschaftlichen Entwicklungen, die längst überfällig sind.

Magdalena: Ich möchte immer ungern von Trends sprechen beim Thema Nachhaltigkeit, weil es eine Entwicklung ist, die einfach nicht mehr aufzuhalten und dringend notwendig ist. Was Trends so an sich haben, aufzupoppen und dann wieder zu verschwinden, das soll und darf nicht für das Thema Nachhaltigkeit passieren; auch nicht für die unterschiedlichen Aspekte dessen. Es gibt natürlich schon Entwicklungen in dem Thema Nachhaltigkeit, wo manche Aspekte mehr in den Fokus rücken und man möglicherweise Trend zu sagen könnte. Im Moment kreist die Diskussion sehr stark um das Thema Circularity. Das wird in der Branche, stark diskutiert und wie man es schafft, die Rohstoffe wieder in den echten Kreislauf zurückzubringen, vor dem Hintergrund, dass man weiß, dass ca 1% der Materialien recycelt ist. Das ist einfach nichts. Das zweite Thema, was auch wieder stärker in den Vordergrund kommt und auch (immer) ganz wichtig ist, sind die sozialen Bedingungen. Darüber sprechen große Organisationen schon seit mehr als 60 Jahren; die Fair Trade Bewegung ist tatsächlich schon so alt, aber natürlich kommen dort auch Bewegungen rein durch Gesetzgebung, zum Beispiel hier in Deutschland. Andere Themen sehen wir noch im Bereich der Digitalisierung von Marken. Das ist eine sehr großer und innovativer Bereich, denn auch in der Digitalisierung von Lieferketten stecken große Nachhaltigkeitspotenziale und natürlich auch die Fragestellung: Was bedeutet eigentlich das Thema Nachhaltigkeit und auch soziale, kulturelle Nachhaltigkeit im Metaverse? Was ist das eigentlich? Wie greift man das im digitalen Raum? Das ist eine Fortsetzung oder Abbildung unserer Gesellschaften und Lebensstils auch in der realen Welt. Das heißt, es wird sich auch noch stärker im digitalen Raum ausbreiten und auch hier lohnt es sich, Kriterien und Verhaltensweisen zu überlegen, die mit dem Thema Nachhaltigkeit einhergehen. Die Herausforderungen sind die alten. Wir leben ja nun in einer Business-orientierten, kapitalistischen Gesellschaft. Das heißt also, großes Ziel, ist ja, mit der Modeindustrie Geld zu verdienen und das ist auch unser Ziel. Es soll ja so sein, dass die Mode einen positiven Impact hat und das hat sie auch, weil sie eben, wenn sie Business-technisch gut funktioniert, vielen Menschen ein gutes Gehalt gibt und einfach eine Lebensgrundlage ermöglicht. Das ist genau das Ziel, weswegen nicht ohne Grund die drei Säulen ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit definiert worden sind. Wir fassen dazu noch die kulturelle, denn es braucht auch diese Säule in der Nachhaltigkeit für die Umsetzung der vielen Regeln, Gedanken und Ideen. Die große Herausforderung wird sein, die Zusammenarbeit zu organisieren. Denn auch wenn wir wissen, dass sie wichtig ist und sich große Probleme besser gemeinsam lösen lassen, ist es trotzdem nicht leicht; auch in der Kommunikationskultur nicht. Und da braucht es einfach Unterstützung. Es braucht Plattformen, sich zu sehen, aber auch den geleiteten Diskurs miteinander.

Und schließlich: Was steht als Nächstes an? Worauf dürfen wir uns von euch freuen - im Rahmen der Berlin Fashion Week im September 2022? Was möchtet ihr in den nächsten Jahren erreichen?

Carina: Inder nächsten Woche zeigen wir das Estethica Upcycling Lab, die Estethica Exhibition ´What lies ahead´ auf dem 202030 Summit und die Präsentation ´In Solidarity´ bei der Fokus auf unseren 4 Ukrainischen Brands liegt. Außerdem finden spannende Estethica Talks zusammen mit unseren Partnern 202030 Summit, MBFW und Pool. Diese verschiedenen Formate, richten sich zum einen an Fachpublikum aber auch an die interessierte Öffentlichkeit. Das komplette Programm ist unter www.estethica.com zu finden. Wir freuen uns über zahlreiche Anmeldungen und bei dieser Gelegenheit persönlich kennen zu lernen.

Magdalena: Als nächstes steht natürlich der 202030 - The Berlin Fashion Summit im Rahmen der Berlin Fashion Week nächste Woche. Hier haben wir fast 50 Speaker:innen eingeladen, über die Fragestellung „Wie erreichen wir die Mode mit einem positiven Impact?“ zu sprechen. Wir haben einen Track, wo wir neuartige Materialien vorstellen. Es geht auch wieder um die digitale Welt und die Frage, wie sich Nachhaltigkeit im digitalen Raum manifestiert und auch viele Aspekte der modernen Zusammenarbeit. In diesem Rahmen finden auch zwei Ausstellungen statt; einmal die Esthetica Ausstellung „Esthetica Rooms“, wo junge, nachhaltige Talente ausgestellt (zu sehen sein) werden, und die „All Goods“ Ausstellung, wo fünf niederländische Innovatoren tolle neue Materialien und Technologien präsentieren werden. Und zu guter Letzt gibt es auch noch „The Berlin Fashion Hub“, eine Networking Reception, wo das Team von „Forn – The Berlin Fashion Hub“ ein Update dieses wichtigen Projekts gibt, von dem wir zu einem späteren Zeitpunkt noch weiter berichten werden. Das ist etwas, worauf wir uns sehr freuen und auch auf die weiteren Fashion Weeks mit Initiativen zu den Themen Mode, Nachhaltigkeit, Innovation und Digitalisierung, diese zu verankern und laut nach draußen zu kommunizieren.

Vielen Dank für das spannende Interview!