Interview Designerin Sofie Andersson vom Label Anekdot

picture: ©Colette Pomerleau
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Liebe Sofie, kannst du dich und dann deine Marke Anekdot vorstellen – wofür steht sie?
Ich bin eine in Schweden geborene Modedesignerin, habe meinen Abschluss in Modedesign in Italien gemacht, in London bei verschiedenen Pionier:innen der nachhaltigen Mode gearbeitet und bin dann nach Berlin gezogen, um meine eigene Marke zu gründen. Seit ich ein Teenager bin, arbeite ich in verschiedenen Modebereichen, da ich Mode schon immer geliebt habe zudem kommt, dass meine Mutter auch Modegeschäfte geführt hat. Ich habe mit ihr nicht nur in der Werkstatt, sondern auch als Einkäuferin und Managerin in den Stores gearbeitet bevor ich meine Reise in das Modedesign begann. Bei meiner Marke Anekdot geht es um Anekdoten und Hinweise auf eine recherchierte Neugier, unerwartete Überraschungen und personalisierte Geschichten, die eine Verbindung zu Menschen und nicht nur zu Verbrauchern herstellen. Eine ehrliche Marke, die hochwertige Dessous und Bademode herstellt, die einen minimalen ökologischen Fußabdruck hinterlässt und mutige Menschen befähigt, so sein zu können wie sie sind und zudem auch ihre Werte zu leben.

Wie entstand die Idee, Dessous aus Recycling- und/oder Upcycling-Materialien herzustellen?
Seit ich erkannt habe, wie verschwenderisch die Modeindustrie ist, habe ich mich voll und ganz der Arbeit für Veränderungen verschrieben, und meine Antwort ist, eine enge Beziehung zu Materialien aufzubauen, die die Modeindustrie hinter sich lässt. Ich liebe es, vergessene, kostbare Stoffe in etwas Schönes und Tragbares für den Alltag zu verwandeln, und es passt zu meiner Persönlichkeit, da ich Chancen in Herausforderungen sehe, und in Grenzen wiederum Aufregung und kreative Inspiration. Dessous und Upcycling passen auch perfekt zusammen, da die Schnittteile klein sind und ich Reststücke und kleine Materialmengen in meinen Designs verwenden kann, ohne unbedingt an eine Patchwork-Ästhetik gebunden zu sein.

Ich wollte auch Dessous herstellen, die das gleiche Gefühl vermitteln wie beim Vintage-Shopping; Stücke, die eine Geschichte erzählen und ein Gefühl von Exklusivität vermitteln, als hätte man etwas Besonderes für sich gefunden, sorgfältig hergestellt und keine Massenware. Der Markenname Anekdot bezieht sich auf die interessanten Geschichten der Stoffe, wie sie hergestellt wurden, ihren ursprünglichen Zweck, das Abenteuer hinter ihrer Beschaffung und die Geschichten, die weitergehen, in dem Wissen, dass die Menschen, die unsere Produkte tragen und schätzen, ein Teil der Geschichte sind. 

Dessous aus Upcycling-Materialien klingen für Konsumenten sicherlich erst einmal seltsam – kannst du kurz erklären, woher du die Materialien beziehst und wie du sie verarbeitest?
Die Materialien beziehe ich aus Produktionsresten, Produktionsfehlern und Mengenfehlkalkulationen, Verschnitt, Deadstock oder unbenutzten Vintage-Stoffen, hauptsächlich aus Italien, dem Nummer-eins-Ort für hochwertige Textilien. Die Materialien, die wir verwenden, wurden noch nie zuvor getragen, aber wir müssen die Materialien sorgfältig durchgehen, um sicherzustellen, dass wir Mängel feststellen, und in diesem Fall diese Mängel beseitigen oder kreative Wege finden, um sie als besonderes dekoratives Merkmal in den Dessous-Design hervorzuheben. Die Beschaffung der Stoffe steht dabei an erster Stelle, und die Designs entstehen aus den jeweils verfügbaren Materialien.

Wie reagieren Ihre Konsumenten auf dein Konzept? Siehst du eine neue Offenheit für Upcycling-Mode? Oder musst du noch viel erklären?
Es ist heute definitiv viel einfacher, unser Konzept zu erklären als noch 2015, als ich Anekdot gegründet habe. Damals dachten die meisten Leute, dass Upcycling immer bedeutete, gebrauchte Second-Hand-Kleidung wiederzuverwenden, was zu Missverständnissen führte. Aber heute haben die meisten Menschen ein tieferes Verständnis für Upcycling und sehen den Mehrwert ein Upcycling-Produkt zu kaufen.

Dessous sind sehr intim, weil sie das erste Kleidungsstück sind, das Ihren Körper berührt. Auch sieht man immer noch, dass viele Modelabels aus dem Wäschebereich immer wieder ihre Kollektionen von „Idealbodys“ präsentieren. Du selbst sagtest in einem Interview: „Obwohl Körperideale so vielfältig sind, versucht die Modeindustrie mit irrealen Vorstellungen Regeln aufzustellen. Viele Werbekampagnen, insbesondere bei Dessous, zeigen illusorische Vorstellungen. Sie verfälschen unsere Vorstellung von „perfekt“ komplett – wie reagiert Anekdot darauf?
Für mich war es von Anfang an selbstverständlich, nicht nur mit professionellen Models zu arbeiten, sondern hauptsächlich mit Freunden und Freunden von Freunden, die sich meldeten, um meine Designs zu tragen, und alle mit unterschiedlichen Formen, Alter, Hintergrund und Hautfarbe.
Anekdot ist für alle da und für mich ist es wichtig, dass die Fotos das widerspiegeln. Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass wir Frauen uns wohlfühlen und unseren Körper so akzeptieren, wie er ist, und je mehr verschiedene Körper wir in den Medien sehen, desto einfacher wird es, uns selbst mit Akzeptanz zu betrachten. Selbstakzeptanz und Selbstliebe machen Frauen wirklich lebendig und schön, und das möchte ich mit meinen Designs verkörpern.
 

Nachhaltige Mode wird nicht nur für Designer, sondern auch für Verbraucher immer wichtiger – wie kann deiner Meinung nach Verbraucher:innen noch stärker für nachhaltige Mode sensibilisiert oder sogar inspiriert werden?

Es ist wirklich interessant und lehrreich, vor dem Kauf eines Produkts die Geschichte einer Marke zu erfahren und sollte auch die Norm sein, zu wissen, wohin das Geld fließt und was man tatsächlich unterstützt. Modemarken erleben heute einen wachsenden Druck, transparent zu sein und so viele Informationen wie möglich auf der Website zu teilen, was für Verbraucher:inenn sehr interessant ist, da diese Informationen immer so versteckt waren und endlich verfügbar zu sein scheinen. Mode ist Politik und jeder Kauf ein Votum für die Welt, in der wir leben wollen. Manche Informationen können auch als Inspiration für den eigenen Haushalt dienen. Beschafft eine Marke alle Materialien in Europa? (Was ist in Ihrem Kühlschrank? Lokal angebautes Obst und Gemüse oder Bananen aus Kolumbien?) bietet eine Marke Reparaturen an? (Würden Sie Ihre Kleidungsstücke in Ihrem Kleiderschrank reparieren oder lieber wegwerfen und neu kaufen?).

Kannst du uns einen Einblick geben, was Nachhaltigkeit für dich bedeutet und wie du produzierst?
Wir haben einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz und folgen unseren Grundwerten in der gesamten Lieferkette und in den Arbeitsprozessen. Nachhaltig beschaffte Materialien, lokale und faire Produktion und hochwertige Handwerkskunst für Langlebigkeit. Wir wollen bei der Herstellung unserer Stücke so wenig wie möglich von den Ressourcen des Planeten verbrauchen und vermeiden Abfall jeglicher Art. Darüber hinaus möchte ich Anekdot als Plattform nutzen, um die Modebranche von innen heraus zu revolutionieren, und wir hinterfragen und rebellieren gegen Dinge, an die wir nicht glauben, wie z. B. schnelllebige Saisons, flüchtige Modetrends und Black Friday Sales, die unnötigen Konsum fördern und somit auch Abfall.

Berlin steht für nachhaltige Mode, hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Wie siehst du die Entwicklung und gibt es noch Luft nach oben?
Jeder Schritt nach vorne ist gut, aber wir sollten hier definitiv nicht stehen bleiben. Es gibt immer Raum für Verbesserungen.
 

Was können wir in Zukunft von Anekdot erwarten? Gibt es Pläne, was kommt als nächstes?

Neben unserer klassischen Dessous- & Bademodenkollektion entwickeln wir unser Zero-Waste-Konzept weiter und werden in Kürze den ersten Teil einer Capsule Collection auf den Markt bringen, die nicht nur optisch zeigt, dass wir Upcycling betreiben, sondern uns auch dabei hilft, durch die Wiederverwendung  unserer eigenen Schnittabfälle, in unserer gesamten Produktion abfallfrei zu bleiben. Ich freue mich sehr darauf.

Danke Sofie für das Interview.