Chancen, Herausforderungen und der Status Quo nachhaltiger Mode: AVENIR-Designerin Sophie Claussen im Interview

©Avenir
©Avenir

Als Sophie Claussen 2020 ihr Label AVENIR gründete, stand ein Thema besonders im Mittelpunkt. Ihre Vision: kompromisslos nachhaltige Mode zu entwerfen, die den Zeitgeist einfängt und weder Mensch noch Umwelt schadet. Deshalb entsteht ihre Ready-to-wear zirkulär, d.h. die Wahlberlinerin nutzt ausschließlich up- und recycelte Materialien, die unter fairen Bedingungen entstanden sind. 

Gefeiert wurde die gebürtige Hamburgerin für ihre avantgardistischen Looks bereits letzte Saison auf der Berlin Fashion Week und ist auch im Februar 2024 wieder ein Teil von Berlin Contemporary. 

Ihre Gedanken zum Thema Mode und Nachhaltigkeit teilt sie in diesem Interview. 

So nachhaltig wie möglich zu arbeiten, ist schon seit jeher Ihr Credo. Mittlerweile sind Sie Expertin auf diesem Gebiet und geben Ihr Wissen regelmäßig weiter. Zum Beispiel während des Craftism (Craft + Activism)-Workshops in Zusammenarbeit mit dem Fashion Council Germany und dem @consciousfashionstore. Was kann jedes Label tun, um nachhaltiger zu arbeiten? 

Nachhaltiges Design ist für jeden anders und basiert auf der Verfügbarkeit von Ressourcen, Wissen und individuellen Erfahrungen. Wenn man das eigene Label nachhaltiger machen möchte, sollte man damit anfangen, die Nachhaltigkeit zu einem ernsthaften Brand-Value zu machen. 

… was durchweg gut ist.

Es ist etwas, worauf man stolz sein und guten Gewissens dran glauben kann! Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Bei großen Entscheidungen geht man weniger Kompromisse ein und lässt sich eher davon leiten, was für die Brand und die Umwelt das Richtige ist. Es bedeutet auch, sich bewusst zu machen, was und warum man etwas tut. Das Beste ist zudem immer, sein Bestes zu geben. Man kann immer wachsen, sich verbessern und bessere Lösungen finden, aber nur wenn man mit und an seiner Arbeit wächst.

“Wir müssen anfangen mit Konventionen zu brechen, darin liegt die größte Chance.” – Sophie Claussen, AVENIR 

Haben Sie denn ein Sustainable-Brand-Rolemodel? 

Ehrlich gesagt, ist jede Marke, die nachhaltig arbeitet und bessere Entscheidungen für die Menschen und den Planeten trifft, ein Vorbild für uns. Wir als Marke verstehen die Hindernisse, die es mit sich bringt, eine nachhaltige Marke in einem Fast-Fashion-System zu sein. Jeder, der sich bemüht und hart arbeitet, um eine positive Veränderung und Wirkung zu erzielen, ist nicht nur inspirierend, sondern auch motivierend. Das schönste ist: Die nachhaltige Modeindustrie ist mehr wie eine Gemeinschaft, wo Leistungen und Erfolge miteinander geteilt werden. Zusammenarbeit statt Konkurrenz und Inspiration statt Vergleich ist der Schlüssel unserer Vision für die Zukunft der Mode.

Ist es heute überhaupt möglich, als Label hundertprozentig nachhaltig zu arbeiten?

Im Moment leider nicht. Dann müsste man gar nichts produzieren. Sobald man Mode entwirft, produziert man auch etwas. Und das größte Problem liegt nach wie vor in der Textilproduktionen, der Auswahl der Materialien und dem Abfallmanagement der übrig gebliebenen Textilien.

Ein Problem, welches Sie mit AVENIR adressieren… 

Genau. Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf die Wiederverwendung, Reduzierung und Wiederverwertung von Textilien durch innovative Upcycling-Designmethoden. Wir lieben es zu experimentieren und Neues auszuprobieren. Wobei die Materialien immer im Mittelpunkt unserer Arbeit und Leidenschaft für Design stehen. 

Gerade in den letzten Jahren hat sich auf dem Markt vieles in Sachen Nachhaltigkeit getan. Trotzdem ist es immer noch viel einfacher, sich für einen nicht nachhaltigen Weg zu entscheiden. Ist das nicht frustrierend? 

Das kann es manchmal definitiv sein, absolut. Aber ehrlich gesagt macht es dann auch erst richtig Spaß: wenn man keine nachhaltige Lösung auf dem Markt findet, fördert das die eigene Kreativität, Innovationsgeist und Individualität: man muss selbst eine Lösung finden. So entstehen die besten Ideen! Bei uns im Studio experimentieren wir gerade viel mit Stoffmanipulationen und erfinden ganz neue Methoden, um Materialien anders zu nutzen. 

Gesehen hat man das gut in der AVENIR Frühjahr/Sommer 2024 Kollektion, wo vor allem die Denim-Entwürfe herausstechen… 

Denim steht schon seit der Gründung im Mittelpunkt unserer Kollektionen. Es ist ein sehr starkes Baumwollgewebe, das aus einer Twill-Bindung hergestellt wird und somit sehr widerstandsfähig ist. In den 60er und 90er Jahren wurde Denim mit Red Indigo gefärbt, eine Alternative zu echtem Indigo, da damals der natürliche Farbstoff knapp wurde. Daran orientiert bestehen alle unsere Kollektionen auch aus zwei Linien, Red und Blue. Mit unserer Red Line möchten wir möglichst vielen Menschen Zugang zu nachhaltiger Mode geben. Looks aus der Blue Line sind immer Made-to-Order und Upcycling-Einzelstücke.

Nachhaltig zu arbeiten hat auch seinen Preis. Gerade für junge Brands ist das eine Herausforderung. Warum ist es noch so teuer? 

Es liegt an dem System, was wir alle gefüttert haben. Welches auf schnelle Produktion und billige, nicht nachhaltige Materialien ausgelegt ist. Wo immer noch größtenteils unzumutbare Löhne gezahlt werden und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken schlecht sind. Es mangelt an Innovation, Investitionen und die Nachfrage für nachhaltige Materialien ist zu gering, sodass die Kosten eben deutlich höher sind. 

Was sagen Sie Ihrem Gegenüber, wenn Sie hören, dass Nachhaltigkeit noch immer sehr kostspielig ist?

Man muss sich vor Augen halten: Nachhaltige Mode ist nicht immer teuer, sondern die Kosten für Fast Fashion sind so günstig, weil Menschen und Materialien in der Produktion ausgebeutet werden. Es ist nicht normal und definitiv nicht in Ordnung, dass ein T-Shirt 10 Euro kostet. Wenn sich mehr Marken für eine nachhaltigere Produktion entscheiden und bessere Materialien und Arbeitspraktiken fordern, werden wir in Zukunft hoffentlich positive Veränderungen sehen. Mit fairen und erschwinglichen Kosten für nachhaltige Mode.

„Zusammenarbeit statt Konkurrenz und Inspiration statt Vergleich ist der Schlüssel unserer Vision für die Zukunft der Mode”, so Sophie Claussen.

Über welche zukunftsweisenden Entwicklungen freuen Sie sich am meisten? 

Es gibt super viele neue nachhaltige Innovationen und das in ganz unterschiedlichen Bereichen. Das freut mich sehr! Am meisten passiert gerade bei nachhaltigeren Textilien, wie Tencel und recycelten Textilien. Dadurch entstehen mehr kreislauforientierte Designlösungen für die gesamte Branche. Zudem gibt es viele lokale, unabhängige und einzigartige Konzepte, die in lokalen Gemeinschaften entwickelt werden. Wir müssen endlich anfangen, mit den Konventionen zu brechen. Darin liegt die größte Chance.