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“Ich nehme eine Renaissance des Handwerks wahr”
In Mario Keines Kölner Atelier entsteht nicht nur Mode, sondern vielmehr eine Philosophie, die die Tradition des Handwerks mit zeitgenössischer Innovation verbindet. Der Anspruch seiner Brand MARKE ist es, Nachhaltigkeit und Qualität in Einklang zu bringen, ohne die künstlerische Integrität zu vernachlässigen.
Seine H/W-2024 Kollektion präsentierte Mario Keine als einer der Berlin Contemporary-Gewinner im Rahmen der Berlin Fashion Week im Februar im Pressecafé am Alexanderplatz. "Allezeit bei mir" ist eine Hommage an persönliche Erinnerungen und die Kraft der kleinen Momente im Leben.
Wir sprachen mit dem talentierten Designer über seine Vision, seine Handwerkskunst und die Herausforderungen, die eine nachhaltige Arbeitsweise in der Modeindustrie mit sich bringen.
Schön, dass du dir die Zeit nimmst, lieber Mario! Fangen wir am Anfang an: Du wusstest schon früh, dass du mal Mode machen möchtest. Was war dein erster und prägendster Mode-Moment?
Hier greift ein wenig das Klischee (lacht): Einen Monat vor meinem 13. Geburtstag habe ich mir damals im Familienurlaub in Österreich meine erste VOGUE (04/2005; besitze ich immer noch und hüte diese wie einen Schatz) gekauft. Kurz darauf sah ich die Couture Show von Dior für die HW2005/06 Saison, die damals schon im Internet als Video hochgeladen war. Das Sauerländer Internet bei meiner Familie war zu dieser Zeit noch miserabel und so habe ich das Video teilweise 1 Stunde laden lassen müssen, bis es abspielte, um es dann aber in Dauerschleife täglich laufen zu lassen. Mit dieser Zeit begann eigentlich meine regelrechte Obsession und bis zum Ende meiner Schulzeit blieb kein Heft von voll gescribbelten Rändern mit Modezeichnungen verschont. Noch heute wird eigentlich jedes Blatt, das mir unterkommt, direkt mit Silhouetten bekritzelt.
“Bis zum Ende meiner Schulzeit blieb kein Heft von voll gescribbelten Rändern mit Modezeichnungen verschont. Noch heute wird eigentlich jedes Blatt, das mir unterkommt, direkt mit Silhouetten bekritzelt.”
War ein eigenes Label damals schon dein Traum?
Ja, dies war schon immer mein Traum, aber schon zu Studienzeiten habe ich gesagt, dass ich einige Jahre in der Branche arbeiten möchte, um alle Prozesse zu erleben und Erfahrungen zu sammeln. Letztendlich habe ich 5 Jahre nach meinem Abschluss bei einer Kölner Designagentur gearbeitet, wo ich Projekte für internationale Marken im Luxus- und Premiumsegment realisieren konnte. Dies umfasste aber nicht nur Design, sondern auch Konzeptentwicklungen in den Bereichen Interior, Packaging und Visual Merchandising, was mir also einen interdisziplinären Einblick verliehen hat und somit eine Grundlage für ein holistisches Markenverständnis gegeben hat.
Was ist deine (modische) Vision für MARKE?
Meine Vision für MARKE ist es, eben eine holistische MARKE-Welt aufzubauen und zu erschaffen, die hybride Referenzen honoriert (ich liebe es mit konträren Referenzen wie Hochkultur und Popkultur zu arbeiten), Fokus auf Zeitlosigkeit, Handwerkskunst und Qualität legt und das Publikum motiviert, Bekleidung und Design reflektiert und bewusst zu genießen.
“Sämtliche Stoffe sind zirkulär, also aus Überhängen und Überproduktionen italienischer Hersteller, sodass für die gesamten Kollektionen von MARKE keine neuen Materialien produziert werden müssen.”
Dein Anspruch ist es, mit MARKE so nachhaltig wie möglich zu arbeiten. Wie genau sieht das in der Umsetzung aus?
Als ich damals angefangen habe, MARKE zu konzipieren, war mir klar, dass die Welt weder auf eine weitere Brand, noch auf mehr Produkte wartet. Mit diesem Bewusstsein war es schnell meine Prämisse, etwas zu kreieren, das den kleinsten ökologischen Fußabdruck hinterlässt und dabei den möglichst höchsten Wert vermittelt.
Sämtliche Schnitte und Muster bis zur Produktionsreife werden im Atelier in Köln entwickelt. Dies ermöglicht es mir, einen Blick auf alle Prozesse beizubehalten und diese bis zur Produktionsfreigabe zu begleiten und abzusegnen. Dies hat zur Folge, dass bis dato jedes Teil, das in den Kollektionen gezeigt wurde, nur einmal vorgenäht werden musste und dann alle Details passten. In den meisten Fällen, in denen man Produktionsschritte outsourced (gerade Schnittentwicklung), kommt es vor, dass Teile 2–3-mal komplett neu genäht werden, bis alle Details stimmen.
Für die komplexen Stücke und Sonderanfertigungen arbeite ich mit einem Fertigungsatelier in Essen, nahe meinem Atelier in Köln zusammen. Dies ermöglicht es mir, bei Fragen oder Problemen direkt vor Ort zu sein, um zu verhindern, dass Dinge unnötig überarbeitet werden müssen. Die Teile werden in Polen in denselben Prozessen gemustert und dupliziert, um auch hier unnötige Logistikwege und Überproduktionen zu vermeiden.
Sämtliche Stoffe, die in den Kollektionen verwendet werden, sind zirkulär, also aus Überhängen und Überproduktionen italienischer Hersteller, sodass für die gesamten Kollektionen von MARKE keine neuen Materialien produziert werden müssen.
Was sind die größten Herausforderungen dabei?
Meine persönliche Herausforderung besteht darin, mein Sourcing noch transparenter zu gestalten und im Rahmen des aktuellen Wachstums die Nachhaltigkeit der von mir aufgebauten Lieferkette beizubehalten, auch wenn ab gegebenen Zeitpunkt für gewisse Prozesse Outsourcing erfolgen muss.
Welche Nachhaltigkeitsinnovationen begeistern dich gerade besonders?
Ganz zu Beginn von MARKE habe ich auf Einladung der Düsseldorfer Galerie VAN HORN als Gemeinschaftsarbeit mit dem Künstler Manuel Graf eine 3D gedruckte Kette präsentiert. Seit jeher faszinieren mich die Möglichkeiten des 3D Drucks. Zum einen, da die Möglichkeiten in den verwendeten Materialien immer größer werden. So kann zum Beispiel das Grundmaterial auf Basis von Raps generiert werden und mittlerweile kann selbst Metall oder Porzellan gedruckt werden. Außerdem fasziniert mich hier die Möglichkeit, historische Techniken wie Drechselarbeiten und Arbeiten, die heute nicht mehr vertretbar sind, wie beispielsweise Elfenbeinschnitzereien in Form und Anmutung zu replizieren.
Zudem stehe ich aktuell im ständigen Dialog mit dem Unternehmen eines Freundes, TAO Climate, dessen Vision es ist, CO2-Emissionen durch Zertifikate und Anbau von Hanf, eines der strapazierfähigsten und nachhaltigsten Materialien überhaupt, zu kompensieren. Deshalb drehen sich hier meine Gedanken auch schon um Arbeiten aus Hanf als textiles Material.
“Das Wundervolle an der aktuellen deutschen / Berliner Modeszene ist, dass wir jungen Brands sehr kooperativ denken im Austausch über Innovation und Nachhaltigkeit."
Wo informierst du dich über neue Nachhaltigkeitsmethoden und -Techniken?
Hauptsächlich über den direkten Dialog. Dies kann zum einen direkt innerhalb der Branche oder interdisziplinär geschehen. Das Wundervolle an der aktuellen deutschen / Berliner Modeszene ist, dass wir jungen Brands sehr kooperativ denken im Austausch über Innovation und Nachhaltigkeit. Man merkt, dass es ein großes Bewusstsein dafür gibt, dass wir dieses übergeordnete Ziel, die Verbesserung einer so komplexen und festgefahrenen Branche, nur durch Kooperation und Austausch und nicht durch Ellbogenattitüde, erreichen können.
Welchen Beitrag sollte jedes Label deiner Meinung nach für eine nachhaltigere Zukunft tun?
Jetzt mal die Optimierung der Prozesse und Lieferketten ausgenommen: Die Präzisierung und Dezimierung des Produktportfolios. Dies geht mit einer grundlegenden Frage einher, die man sich im frühen Aufbau der Brand stellen sollte: Bis zu welcher Größe und Wachstum ist es möglich, meine künstlerische Integrität und Werte zu bewahren?
“Überproduktion entsteht nicht nur durch unverkaufte Ware, sondern in erster Linie durch ein Angebot, das Werte über Bord wirft, nur um möglichst viele Konsument:innen zu erreichen.”
Überproduktion entsteht nicht nur durch unverkaufte Ware, sondern in erster Linie durch ein Angebot, das Werte über Bord wirft, nur um möglichst viele Konsument:innen zu erreichen. Ich würde sagen, in 99% Prozent der Fälle ist die Ergänzung des Portfolios um Logo-Kleinlederwaren nicht der künstlerischen und handwerklichen Aussage zu verdanken, sondern dem kapitalistischen Gedanken.
Welche Labels agieren für dich in Bezug auf Nachhaltigkeit vorbildlich und warum?
Schwierige Frage! Wie schon gesagt, denke ich, dass es ab einer gewissen Größe von Unternehmen nicht mehr möglich ist, überhaupt ‚nachhaltig‘ zu sein, weshalb ich die Frage nach dem Wachstum voranstelle.
“Ich möchte meiner Kollegin Sophie von AVENIR ein großes Kompliment aussprechen. Es gibt glaube ich wenige Brands, die so stringent und informiert Nachhaltigkeit leben und diese vor allem nach außen tragen, um durch Workshops und andere Aktionen Bewusstsein zu generieren.”
Schaue ich dennoch bei den größeren Labels und bewerte nach anderen Maßstäben, so finde ich den Ansatz von LOEWE und Bottega Veneta sehr gut, da diese in Projekten und durch ihre Kommunikation versuchen, beim Publikum ein Bewusstsein für Handwerk und Qualität herzustellen. Zudem schaffen JW Anderson und Matthieu Blazy es in den Kollektionen sehr gut, Produkte zu entwickeln, die nur abstrakt vom Zeitgeist inspiriert sind, ihn dafür aber stark prägen. Dadurch sind sie einer Halbwertszeit teils erhaben. Wie schon gesagt, lässt sich dies ob der Größe des Angebots nicht auf alle Produkte applizieren.
Mit dem Blick auf kleinere Brands, und vor allem lokale, möchte ich meiner Kollegin Sophie von AVENIR ein großes Kompliment aussprechen. Es gibt glaube ich wenige Brands, die so stringent und informiert Nachhaltigkeit leben und diese vor allem nach außen tragen, um durch Workshops und andere Aktionen Bewusstsein zu generieren.
“Mein Anspruch ist es, Referenzen der Vergangenheit zu nehmen und diese mit modernen Einflüssen wie Street-Culture und Trageverhalten zu konterkarieren.”
Du strebst mit deinen Kollektionen auch immer nach handwerklicher Perfektion. Wie entstehen deine Designs? Was ist dir besonders wichtig?
Vielen Dank! Wenn durch meine Arbeit dieser Eindruck entsteht, bin ich sehr glücklich, denn dies ist einer meiner Grundwerte – Nachhaltigkeit durch Qualität, ergo Langlebigkeit.
Meine Kollektionen entstehen auf klassischem Weg: Konzept – Recherche – Zeichnung - Schnitt – Muster – Änderung – finales Teil.
Natürlich spielt der Zufall und Bauchgefühl eine große Rolle in der Entwicklung, doch entgegen anderer Designer:innen arbeite ich nicht über Drapage oder an der Büste selbst, sondern über meine Vorstellungskraft, Zeichnung und Schnittentwicklung. Meine Konzepte finden fast alle Ursprünge in Selbstreflektion, Traditionen und die Hinterfragung derer. Meine Moodboards setzen sich zum Großteil aus Referenzen von Details und Silhouetten, historischer Bekleidung und (lokaler) Trachten und Handwerkstechniken zusammen, Einflüsse angewandter Künste und Architektur. Man kann also sagen, ich arbeite sehr stark historisch und wenig mit Referenzen aus jüngerer Ästhetik. Dennoch verneine ich diese nicht. Mein Anspruch ist es, Referenzen der Vergangenheit zu nehmen und diese mit modernen Einflüssen wie Street-Culture und Trageverhalten zu konterkarieren. Meiner Meinung nach kann man nur Bewusstsein durch Reflektion schaffen und hierzu ist Wissen und Kontext von Vergangenem sehr wichtig. Dies ist gerade im aktuellen Weltgeschehen mehr als notwendig.
Wie würdest du den Status Quo des Mode-Handwerks beschreiben? Gehen uns eher Techniken, Methoden verloren oder erlebt das Handwerk gerade wieder ein Hoch?
Ich nehme aktuell eher eine kleine Renaissance des Handwerks wahr. Schaut man auf die Arbeit jüngerer Brands, zB. Dilara Findikoglu, SG1OG, aber auch Brands wie Schiaparelli oder eben Bottega Veneta, so findet man einen sehr starken Fokus auf Handarbeit, das Wiederbeleben alter Techniken oder das Neubeleben alten Materials. Eine tolle Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit und Individualismus abseits einer Massen-Generik.
“MARKE wurde erst im Januar 2023 gelauncht und es macht mich dann doch ein wenig stolz, innerhalb von 12 Monaten MARKE von einem kleinen Launch im Showroom des Fashion Council Germanys mit dem Besuch von gerade mal 5 Leuten zu einer Show im Februar 2024 mit 260 Leuten und 100 nationalen und internationalen Pressevertreter:innen entwickelt zu haben.”
Worauf bist du bei deinem Label besonders stolz?
Bislang ist MARKE eine komplette One-Man-Show. Vom Design, bis zur Schnittentwicklung, Sampling der Fitting-Muster, Entwicklung der Produktionsdaten, Administration, Logistik, Social Media etc. mache ich aktuell alles alleine. Das Einzige, was ich outsourcen muss, ist die finale Produktion. Dies ist zwar ein großer Kraftakt, aber erlaubt es mir, alle Prozesse selbst aufzubauen und zu durchleben, um in der Zukunft dann auch realistisch supervisen zu können.
Die Bekleidung von MARKE wurde erst im Januar 2023 gelauncht und es macht mich dann doch ein wenig stolz, innerhalb von 12 Monaten MARKE von einem kleinen Launch im Showroom des Fashion Council Germanys mit Besuch von 5 Leuten zu einer Show im Februar 2024 mit 260 Leuten und 100 nationalen und internationalen Pressevertreter:innen entwickelt zu haben. In diesem Jahr ist dermaßen viel passiert – u.a. die Einladung zu NEUDEUTSCH auf der Pitti Uomo, Sales auf der TRANOI auf der Paris Fashion Week, Strike A Pose Festival in Düsseldorf, Press Days Partizipation, UGG Prize, eine Präsentation im Sommer, die erste richtige Show nun im Februar. Das Jahr kam mir vor wie drei Jahre in eins komprimiert.
Was kommt als Nächstes? Wovon träumst du?
Die nächsten Schritte sind nun die fokussierte Arbeit an der nächsten Kollektion, da der Zeitrahmen für die SS25 sehr knapp ist. Mein Traum wäre es, mit dem Konzept, an dem ich gerade arbeite, eine erneute Förderung vom Berliner Senat für die kommende Berlin Fashion Week zu bekommen, um MARKE stringent aufzubauen.