MYL BERLIN: Im Interview mit Sebastian SK

©I AM JOHANNES
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Designer Sebastian Pladwig erzählt uns über die Message, die er mit MYL BERLIN in die Welt tragen möchte und welchen Herausforderungen man sich als junges Selfmade-Label stellen muss.

Lieber Sebastian, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Würdest du dich als Designer und deine Marke vorstellen?

Mein Name ist Sebastian SK. Ich bin Designer und Gründer von "MYL BERLIN". Die Marke wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, dass Mode mehr ist als nur großartiges Design und hochwertige Handwerkskunst. Mode kann eine Message transportieren und hat die Macht, Veränderungen hervorzurufen. 

“MYL BERLIN” steht für den Glauben an „Empowerment“. Sie zeigt die unbändige Kraft der Vielfalt und möchte damit die Menschen erreichen, die vielleicht nie über Themen wie Vorurteile nachdenken müssen, weil sie nicht davon betroffen sind. Es ist meine Mission, Stereotypen zu aufzubrechen und zu zeigen, dass einige "Regeln" oder "Normen", die in der Vergangenheit galten, nicht mehr zeitgemäß sind. Für mich ist Empowerment etwas, das über die „Geschlechter“ hinausgeht; Empowerment hat mit Sexualität, ethnischer Zugehörigkeit, Ausdruck und so vielem mehr zu tun. Wir müssen verstehen, dass konservative Ideologien und Stereotypen so viele Menschen ihr ganzes Leben lang an so vielen Dingen hindern und sie die Möglichkeit verpassen, sie selbst zu sein. 

Was sind deine Inspirationsquellen und Designphilosophie?

“MYL BERLIN” hat eine starke Mission. Sie wird oft belächelt und muss sich immer wieder aufs Neue beweisen – deshalb sind einwandfreie Handwerkskunst, hochwertigste Materialien und ausgefeilte Designs unerlässlich. 

Ich lasse mich von scheinbar sehr konträren Ideen inspirieren – es macht mir Spaß, Elemente, die eine feste Form zu haben scheinen, in eine andere zu bringen. Ob es nun darum geht, die Idee der Unisex-Kleidung voranzutreiben oder einen Gegenstand der Unterdrückung wie Handschellen in ein kraftgebendes Armband zu verwandeln. Es geht darum, alte Definitionen in Frage zu stellen und zu zeigen, wie diese neu interpretiert werden können. 

Meine Kollektionen sind inspiriert vom Sog des Berliner Nachtlebens und der Kunst-Szene. Es gibt dort eine wunderbare Harmonie von Wesen, die in all ihren Unterschieden vereint sind, wo Stereotypen und Definitionen in den Hintergrund treten und die Schönheit eines jeden Individuums erstrahlen kann. Und das komplett unabhängig von seiner Herkunft, Ethnie, Geschlecht, Sexualität und allem, was uns auferlegt wird. 

Wie hast du die Fashion Week im September dieses Jahres erlebt? Was war neu? Was hat dich beeindruckt? 

Es war die bedeutendste Modewoche, die wir bisher hatten; sie war nervenaufreibend, aber auch eine atemberaubende Erfahrung. Die letzten Jahre waren aufgrund der Pandemie und all der damit verbundenen Probleme schwierig, und für uns war es ein großes Risiko, eine ganze Kollektion auf unserer eigenen Veranstaltung zu zeigen – aber jetzt könnten wir nicht glücklicher sein. Das vielseitige Publikum, die Presse und die anschließende Laufstegshow haben all unsere Erwartungen übertroffen. Wir konnten eine provokative Kollektion präsentieren, unsere Botschaft für Gleichberechtigung verbreiten und haben unglaublich positives Feedback erhalten. Unser Runway-Video wurde millionenfach angesehen und wir haben mehr Menschen als jemals zuvor erreicht.

Vor welchen Herausforderungen standest du bei der Organisation deiner eigenen Fashion-Show im Vorfeld?

Die erste Herausforderung hing mit dem Selbstvertrauen zusammen, es durchzuziehen; Nicht nur die Finanzierung war entscheidend, sondern auch das Publikum, die Models und die Tänzer zusammenzubringen war eine große Aufgabe. Außerdem haben wir es gewagt, eine Show um Mitternacht zu veranstalten, da dies Teil der Kollektions-Botschaft ist. Wir waren besorgt, dass das Publikum so spät nicht mehr kommen würde, aber es gab sogar Menschen, die vor dem Veranstaltungsort Schlange standen. Es war ein phänomenales Gefühl für uns alle, zu wissen, dass die Leute unsere harte Arbeit sehen und uns unterstützen können. 

Warum hast du die Berlin Fashion Week als Auftaktveranstaltung für deine neueste Kollektion gewählt? Wie war das Feedback, das du danach erhalten hast?

Berlin ist unsere Heimat. Und es ist der Ort, für den unser Herz schlägt, also war es nur natürlich, die Kollektion in Berlin zu präsentieren. Natürlich hat Berlin auch eine lebendige und wachsende Modeszene, von der wir sehr froh sind, ein Teil zu sein, und ich persönlich denke, dass Berlin unseren Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen ist. Es ermöglicht uns, unsere Vision zu präsentieren. Andere Fashion Weeks haben uns nach dieser Veranstaltung auch kontaktiert. 

Woher hast du die Inspiration für deine neue Kollektion "Reclamation" genommen und kannst du deren Hintergrund beschreiben? 

„Reclamation“ (Zurückeroberung, Rückgewinnung) bedeutet für mich, den Pfad, Ungerechtigkeit oder Kämpfe, die man durchmachen musste, zu überwinden. Der Name "MYL BERLIN" ist selbst eine „Reclamation“. "MYL" ist die phonetische Form des Wortes "Müll" – ich habe diesen Namen gewählt, weil Freunde oft als "Müll" beschimpft wurden, nur weil sie einen anderen Lebensstil hatten, anders aussahen oder in irgendeiner Weise von der Norm abwichen. Ich wusste, dass es schwer sein würde, die Leute davon abzuhalten, andere so zu nennen. Aber ich dachte: Vielleicht kann ich dieses Wort für uns wieder einverleiben und es in etwas Positives verwandeln. Denn "MYL ist nicht Müll". 

Hast du Techniken und Materialien verwendet, die für deine Kollektionen neu waren? Was ist für dich ausschlaggebend, wenn du nach neuen Materialien und Designs suchst?

Wir haben uns entschieden, neue Materialien zu verwenden. Unter anderem gibt es neue Arten von Mesh-Stoffen, Schichten und Strukturen durch Nähte, so dass die Kleidung sehr gut sitzt, aber den Körper nicht umformt. Ich wollte eine zweite Haut schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen und die ihnen die Freiheit gibt, ihren schönen Körper zu zeigen. Und wenn ich "schön" sage, meine ich nicht eine bestimmte Größe, sondern individuelle Körper, ob kurvig, groß oder schlank. Wenn du dir die Laufstegshow anschaust, wirst du sehen, wie erfolgreich das war. 

Für mich ist das Material sehr wichtig, denn jedes neue Design muss nicht nur gut aussehen, sondern sich auch gut anfühlen. Man muss sich darin wohlfühlen.

Was die Nachhaltigkeit betrifft: Welche Herausforderungen hast du in den letzten Monaten in Bezug auf Verfügbarkeit, Preise und Lieferketten für Materialien erlebt?

Unser Ansatz für Nachhaltigkeit ist nicht nur ein "Abzeichen“. Wir glauben, dass Nachhaltigkeit auf viele verschiedene Arten erreicht werden kann. Unsere Ledertaschen werden zum Beispiel aus dem Material hergestellt, das von anderen Marken normalerweise nicht verwendet wird. Wir nehmen die "Sattellederschicht" und verarbeiten sie – obwohl das Material viele natürliche (ohne zusätzliche Chemikalien) Eigenschaften wie Langlebigkeit und wasserabweisende Eigenschaften hat, ist es schwieriger zu verarbeiten, weshalb viele Marken es einfach wegwerfen. 

Wir mussten vor allem unsere Produktionszyklen anpassen, da die Materialien eine viel längere Lieferzeit haben. Ansonsten versuchen wir unser Bestes, die Preise stabil zu halten. Wir wollen, dass unsere Kollektion zugänglich ist, und wenn du “MYLBerlin” kaufst, kann ich mit Stolz sagen, dass du erstaunt sein wirst, welch hochwertige und schöne Designs du erhalten wirst.

Was sind deiner Meinung nach die Herausforderungen bei der Kreation von Genderless Fashion? Hast du eine Präferenz, wenn es um das Design für ein bestimmtes Geschlecht geht?

Genderless Fashion bringt die Herausforderung mit sich, dass dieses Konzept für die Menschen – zu meiner Überraschung – provokativ ist. Die Tatsache, dass man auf unserer Website nicht zwischen "männlich" und "weiblich" wählen kann, verursacht bereits viele Probleme: Von SEO bis hin zu Großhändlern, die klären müssen, an wen sie die Produkte verkaufen sollen und vielerlei Umstände mehr. Wenn ich Produkte entwerfe, stelle ich mir in der Regel vor, wie sie an vielen Menschen aussehen können, daher macht mir der Designprozess eigentlich mehr Spaß. Am Anfang hatten wir einige Probleme mit der Erstellung passender Schnittmuster, aber inzwischen haben wir das perfekt hinbekommen, und das ist einer der Gründe für unseren Erfolg. 

Was macht Berlin zu einem guten Ort, um ein Modeunternehmen zu gründen? 

Ich glaube, Berlin gibt mir das Feedback und das Vertrauen, dass meine Entwürfe und Produkte die Menschen erreichen und berühren können. Wäre ich in einer konservativeren Stadt gewesen, wäre ich vielleicht zu sehr von Selbstzweifeln geplagt gewesen, um "MYL BERLIN" überhaupt zu gründen. Es ist sehr schwer, in einem umkämpften Markt wie der Modebranche Selbstvertrauen zu haben, und als Mensch, der manchmal etwas zu viele Selbstzweifel hat, weiß ich nicht, ob ich mich nicht zu sehr in Frage gestellt hätte und nicht die Kraft gefunden hätte, "MYL BERLIN" zu gründen. Die Antwort ist also ja: Berlin ist ein guter Ort. 

Kannst du eine Innovation des letzten Jahres nennen, die aus deiner Sicht besonders vielversprechend ist? Sind dir neue Produkte, Innovationen, Ansätze aufgefallen, auf die wir ein Auge haben sollten

Ich finde es toll, dass die Kunden offener für recycelte Materialien sind. In der Vergangenheit rief der Hinweis "aus recycelten Materialien" nur bei einigen Kunden ein positives Gefühl hervor. Die meisten sahen es als "gebraucht" oder "nicht neu" an, aber das hat sich glücklicherweise geändert, und die zusätzliche Arbeit, die es manchmal erfordert, Materialien zu recyceln, zahlt sich aus. 

Wirst du im kommenden Januar an der Berlin Fashion Week teilnehmen? Was können wir von deinem Label erwarten? Was sind deine Träume und Ziele für das Label und dich persönlich als Designer?

Ja! Wir werden natürlich an der Berlin Fashion Week 2023 teilnehmen, und wir planen, die Show noch größer zu machen, die Kollektionen aufregender zu gestalten und eine noch facettenreichere Vielfalt zu präsentieren. Mein Ziel ist es, das Event zu einem Schmelztiegel zu machen, in dem Menschen zusammenkommen, die sich im Alltag vielleicht nicht begegnen. Wenn du zu unserer Show kommst, wirst du nicht nur eine erstaunliche Live-Show mit einer Botschaft für Gleichberechtigung erleben, sondern auch ein wunderbar vielfältiges Publikum aus allen Lebensbereichen treffen. 

Mein Ziel ist es, eine Marke zu schaffen, die eine so starke Botschaft und Reichweite hat, dass man, wenn man jemanden sieht, der "MYL BERLIN" trägt, weiß, dass diese Person die Idee der Gleichberechtigung unterstützt und dass es etwas gibt, das einen verbindet. Und dass man, wenn andere einen an sich selbst zweifeln lassen und Fragen aufwerfen, ob man "nicht gut genug" oder „nicht normal" sei, weiß: Es stehen einem immer Menschen helfend zur Seite.

Sebastian, vielen Dank für das offene Interview.