Interview

Interview mit Rolf Heimann, Vorstand der hessnatur Stiftung

Im Interview beantwortet Rolf Heimann, Vorstand und Gründer der hessnatur Stiftung Fragen zu den Stiftungsinhalten, zu aktuellen Forschungsprojekten und zu den Besonderheiten des Textilstandorts Berlin.
© hessnatur Stiftung
© hessnatur Stiftung

Rolf Heimann ist CEO und Gründer der hessnatur Stiftung. Er gilt als Pionier auf dem Gebiet der Textilökologie und hat sich bereits vor dreißig Jahren mit biologisch abbaubaren Färbemitteln und Coatings für Textilien beschäftigt. 2015 hat Heimann nach 12 Jahren Leitung des Corporate Responsibility Fachbereichs bei hessnatur die gemeinnützige und unabhängige hessnatur Stiftung gegründet, die sich der angewandten Nachhaltigkeit in der Textilbranche widmet. Die hessnatur Stiftung unterstützt Akteure der Textilindustrie auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und verhilft ihnen zu messbaren Fortschritten.

Wie die Arbeit der Stiftung inhaltlich genau aussieht und warum Berlin seiner Meinung nach einen internationalen Vorsprung in Sachen Nachhaltigkeit hat, hat uns Herr Heimann im Interview erzählt.

Herr Heimann, wie kann man sich die Inhalte und Aufgaben der von Ihnen gegründeten hessnatur Stiftung vorstellen?

Der Schwerpunkt unserer anwendungsorientierten Projektarbeit liegt auf Nachhaltigkeitsberatung sowie dem Bildungsbereich. Das Team aus Textilingenieuren, Umweltspezialisten und Experten für soziale Standards verfügt über große Expertise in den Bereichen Textilökologie, Sozialstandards, Circularity und den zur Umsetzung erforderlichen Management- und Monitoringsystemen. Die Stiftung leitet und moderiert Multi-Stakeholder Netzwerkprojekte zur Förderung der Nachhaltigkeit in der Mode- und Textilbranche vom Anbau über die einzelnen Prozessstufen bis zur Schließung textiler Kreisläufe. Bei all Ihren Projekten verfolgt die hessnatur Stiftung einen holistischen, ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz.

Ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit, ist es auch, umweltfreundlichere und nachhaltigere Alternativen zu konventionellen Materialien und Herstellungsverfahren zu entwickeln. Haben Sie diesbezüglich ein konkretes, aktuelles Beispiel?

Sowohl in der Theorie als auch mit praktischen Projekten treibt die hessnatur Stiftung die Entwicklung von nachhaltigen Material- oder Prozessalternativen voran. Aktuell führt die Stiftung z.B. ein Projekt in Asien durch, in dem ein Abfallprodukt aus der Lebensmittelindustrie erstmalig als spinnbare Faser aufgeschlossen wird und dadurch weitverbreitete Anwendung in der Textil- und Modeindustrie finden könnte. Daneben betreuen wir mit unserer Fachexpertise zurzeit eine Arbeitsgruppe des Bündnisses für nachhaltige Textilien, in der es darum geht, in einem Multi-Stakeholder-Prozess eine Definition für nachhaltige Fasern zu finden.

Neben der Nachhaltigkeitsberatung für Unternehmen aus der Textilbranche, fördern Sie mit der hessnatur Stiftung auch junge Talente. Können Sie uns konkret etwas über aktuelle Projekte sagen?

Zur Förderung von Change Agents betreut die hessnatur Stiftung zahlreiche Masterarbeiten im Bereich nachhaltiger Mode und Textilien und unterstützt die Studenten dabei, in ihre theoretischen Arbeiten einen starken Praxisbezug zu verankern. So entstehen Abschlussarbeiten, die die Branche und auch die Studenten selbst voranbringen und den Einstieg ins anschließende Berufsleben ebnen. Weiterhin erstellt die Stiftung mit großem Erfolg Konzepte für Summer Schools / Winterschools und führt diese gemeinsam mit Hochschulen durch. In diesen ein- bis mehrwöchigen Intensivworkshops zu Themen wie bspw. Slow Fashion lernen die Studenten holistische Nachhaltigkeit kennen und wie sie diese in ihrer späteren Berufspraxis implementieren können.

Wie schätzen Sie die Entwicklung ein, was hat sich in der Textilindustrie in Sachen Nachhaltigkeit in den letzten Jahren verändert?

Wir sehen, dass nach und nach ein Paradigmenwechsel in der Mode- und Textilbranche hin zu mehr Transparenz und Verantwortung stattfindet. Nachhaltigkeit wird vermehrt nicht mehr nur als „lästiges Übel“, sondern als Wertetreiber wahrgenommen. Nachhaltigkeit ist dabei kein lineares Phänomen. Wenn bestimmte Strukturen einmal geschaffen sind und ein bestimmtes Verständnis aufgebaut wurde, nimmt die Entwicklung in den Unternehmen Fahrt auf.

Wie nachhaltig ist, Ihrer Meinung nach, speziell die Berliner Modeindustrie?

In Berlin gibt es eine Vielzahl von Labels, welche mit innovativen nachhaltigen Ansätzen arbeiten. Auf der Fashion Week gibt es neben der stetig wachsenden nachhaltigen Messe NEONYT inzwischen zahlreiche weitere konventionelle Messen, die das Thema aufgegriffen und platziert haben. Das empfinden wir in dieser Konzentration und Qualität als einmalig in der Welt. Deshalb bezeichnen wir Berlin auch häufig als „Welthauptstadt nachhaltiger Mode“. Nichtsdestotrotz muss Berlin dranbleiben, um diesen Vorsprung weiter auszubauen und sich vor allem auch international stärker hinsichtlich Nachhaltigkeit zu positionieren.

Wo benötigen Unternehmen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit die meiste Unterstützung? Und welcher ist der einfachste Schritt zu mehr Nachhaltigkeit?

In vielen Unternehmen sind oft bereits einige gute Ansätze vorhanden. Was meistens fehlt, ist ein ganzheitliches Nachhaltigkeitskonzept und eine messbare Strategie mit konkreten Zeitzielen, welche dabei hilft, die Anforderungen konsequent und systematisch umzusetzen. Genau dabei unterstützen wir die Firmen. Was außerdem zur Umsetzung benötigt wird und sehr häufig fehlt, ist anwendungsorientiertes Wissen, z.B. welche nachhaltigen Alternative im Materialbereich es gibt und wie sich diese in der Praxis umsetzen lassen. Deshalb unterstützen wir die Unternehmen durch Inhouse-Schulungen direkt in den Fachabteilungen aber auch durch ein öffentliches Schulungsangebot, welches wir zusammen mit Mode- und Textilverbänden aufgebaut haben.

Vielen Dank für das Interview, Herr Heimann