202030

Interview mit CARINA BISCHOF, Fashion Revolution

„Wenn, dann habe ich Design studiert, um der Mode eine sinnvolle Ausrichtung zu geben.“

Carina Bischof, 36, kam als junge Mode-Designerin nach London und erlebte die Dynamik der frühen Sustainability-Szene im Atelier von Upcycling-Pionierin Orsola de Castro. In Berlin übersetzte sie diese Erfahrungen dann zwar in ihr eigenes nachhaltiges Label namens aluc und den Upcycling Fashion Store, doch die Leidenschaft zog sie in Richtung Aufklärung und Motivation der Menschen zu fair Fashion und Nachhaltigkeit. Carina ist Projektmanagerin bei STOP! Micro Waste sowie eine der Gründer*innen und nun im Vorstand von Fashion Revolution Germany e.V. 

Interview: Uta Gruenberger

Dein Lebens- bzw. Berufsweg ist im Grunde die Geschichte der Nachhaltigkeitsbewegung, die von London nach Berlin überschwappte. Erzählst Du uns davon?

Nun, ich hatte in Sigmaringen ganz klassisch Modedesign studiert und machte meine ersten Erfahrungen in der konventionellen Textilindustrie. Aber als ich 2007 einen Vortrag zu Öko-Mode vorbereitete, ging die Nachricht vom ausgetrockneten Aralsee um die Welt und das hat mich total verändert. Zum ersten Mal setzte ich mich daraufhin bis ins Detail mit der weltweit üblichen Fashion-Produktion auseinander und mit ihren Effekten auf unser Ökosystem. Dabei mir wurde klar:

„Wenn, dann habe ich Design studiert, um der Mode eine sinnvolle Ausrichtung zu geben.“

Das ganze Nachhaltigkeitsthema war zu der Zeit eigentlich nur in London schon richtig „fashionable“ und ein „hot Topic“. Eine große Pionierin war die Upcycling-Designerin Orsola de Castro. Die hatte mit Filippo Ricci damals auch die Esthetica, die Nachhaltigkeitsplattform der London Fashion Week gegründet. Dass ich ausgerechnet bei ihr als persönliche Assistentin vom Fleck weg einen Job in London bekam, in meiner Traumstadt damals, verdankte ich wohl meinen Italienisch-Kenntnissen. Mit Orsola hatte ich jedenfalls sofort den Draht gefunden.

Dort im Atelier hörte ich zum ersten Mal etwas über das „Cradle to Cradle“-Konzept und durfte unter anderem für Tesco an der ersten Upcycling Kollektion für die High Street mitwirken. Überhaupt waren die Jahre in London essenziell für mich und extrem prägend. Und doch war mir die Stadt in allem etwas zu schnell und gesättigt. Ich wollte etwas Eigenes machen.

Das war dann dein eigenes Brand aluc?

Ja, genau. Wir waren zu viert und unser Label aluc gab es acht Jahre. Wir haben damit alle praktischen und logistischen Herausforderungen einer nachhaltigen Marke im Detail erfahren – und dadurch gelernt. Rückblickend war aber das Eröffnen des Upcycling Fashion Stores in Berlin Mitte viel wichtiger – nämlich als Statement und Motivation für die ganze Fashion-Szene. Wir präsentierten High End-Kollektionen und waren im Grunde der europäische Showroom bzw. die Beratungsstation für Upcycling-Mode. Entsprechend begann das Sich-Vernetzen der internationalen Kunden und der Austausch zwischen den Designern. Und durch unseren monatlichen Textil-Stammtisch, haben wir die Szene so richtig von der Pike auf kennengelernt.
Mittlerweile hat sich in Berlin eine wirklich engagierte Sustainability Community etabliert. Ob Konsumenten oder Firmen, das Interesse an den neuen Technologien und Möglichkeiten um faire und grüne Mode ist mehr als erfreulich.

Und wie kam dann Fashion Revolution in die Stadt?

Der Auslöser für diese Aktionsplattform war der unfassbare Fabrikeinsturz von Rana Plaza, 2013. Der hat Orsola de Castro und Carry Somers in London spontan auf den Plan gerufen und sie initiierten Fashion Revolution als Nonprofit-Foundation bzw. globale Bewegung. Heute ist die Community in über 90 Ländern weltweit aktiv. In allen Aktionen geht es um die Reform der Mode-Produktion, um die Transparenz der Lieferketten und um faire Arbeitsbedingungen – eigentlich um das Wachrütteln der Menschen, um Aufklärung.

„Who made my Clothes?“

Das war 2014 die erste und gleich richtig Schlagzeilen provozierende Social Media-Kampagne, für die sich Millionen Fans mit umgedrehten, also Naht nach Außen, T-Shirt oder was immer im Selfie-Style fotografierten – Hashtag #whomademyclothes. Noch heute ist das ein #fashrev-Renner und wurde auf Twitter zum „Global No.1 Trend“ ernannt.

Dann gab es das „2-Euro-T-Shirt“ Experiment 2015…

Ja, ein ebenso durchschlagender wie auch nachhallender Erfolg. Dafür hat Fashion Revolution mit der Agentur BBDO einen türkis-gestreiften 2-Euro-T-Shirt-Automaten am Alexanderplatz aufgestellt und wenn die Menschen ihre Münzen für das Shirt eingeworfen hatten, erschien auf dem Screen eine Bildersequenz von namentlich vorgestellten Näherinnen in einer Textil-Fabrik. Zum Schluss die Frage: „Buy or Donate?“ Die berührende Reaktion der Leute vor dem Screen wurde teils gefilmt und mittlerweile hat diese virale Aktion auch auf YouTube ebenfalls knapp acht Millionen Klicks.

Das klingt motivierend – darauf baust du nun Fashion Revolution Germany auf?

Es war natürlich eine Ehre, dass Orsola uns gefragt hat, ob wir uns als deutsche Vertreter für Fashion Revolution engagieren wollen. Dadurch sind wir jetzt in diesem globalen Rahmen mit dieser Tragweite und viel größerem Impact tätig. Dadurch werden all unsere Aktionen, Projekte und Bildungsangebote viel effizienter. Das macht richtig Spaß, umso mehr deswegen, weil die ganze Plattform nicht mit dem erhobenen Zeigefinger agiert, sondern auf Aufklärung und Empathie setzt. Gerade diese 2-Euro-T-Shirt Aktion hat gezeigt: Wenn die Menschen Bescheid wissen und einen persönlichen Bezug bekommen, dann ist das Mitgefühl fast automatisch der Auslöser für ein neues Bewusstsein. Und genau das brauchen wir, wenn wir ein neues Konsumenten-Verhalten entwickeln wollen.  

„Ökologie, Ökonomie, Soziales, Kultur und Empathie“

Das wären für mich die fünf Ansatzpunkte eines neuen, zeitgeistigen Nachhaltigkeitsverständnisses. Und die Mode ist das perfekte Medium, um die Gesellschaft zu einer neuen Haltung zu animieren. Die Pandemie hat doch drastisch gezeigt, wie radikal und im Nu wir die Welt von Grund auf ändern können, wenn etwas jeden einzelnen Menschen persönlich betrifft. Ich möchte auf jeden Fall dazu beitragen, dass wir reparieren, was wir Menschen auf diesem Planeten zerstört haben und ich möchte am Ende des Tages zu etwas Schönem beigetragen haben.