202030

Interview mit LISA JASPERS, FOLKDAYS

„Einfach tun geht oft leichter, als man denkt!“

Armutsbekämpfung stand im Leben von Lisa Jaspers, 37, schon immer am Firmament ihrer Motivation und über den Initiativen, mit denen die Wahl-Berlinerin die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Textilwirtschaft vorantreiben möchte. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaften und Entwicklungsökonomie bekam sie auf zahlreichen Reisen Einblick in die Produktionen kunsthandwerklicher Betriebe im globalen Süden. Daraufhin packte sie das Thema Fair Fashion Trading selber an. Sie ist die Gründerin von FOLKDAYS und jene fröhliche Aktivistin, die über #fairbylaw der Gesetzgebung Dampf macht.   

Interview: Uta Gruenberger

Wie kam es zum Sprung von der Entwicklungsökonomin zur Unternehmerin?

Schon während meines Studiums, danach in meinen ersten Jobs für die Wohltätigkeitsplattform Oxfam und später auch für Unternehmensberater war ich immer wieder in Ländern des globalen Südens unterwegs. Dabei merkte ich bald, dass der klassische Weg der Entwicklungshilfe sich für mich nicht gut anfühlte. Im Gegenteil, mir wurde immer klarer, wie neo-kolonialistisch im Grunde unser Anspruch ist, zu wissen, was ein Land in Afrika für seine sogenannte Entwicklung braucht. Ich wollte einen anderen Zugang zum Thema Armutsbekämpfung finden, hatte aber auf meinen Reisen so viele hochtalentierte Menschen kennengelernt, die mit traditionellen Materialien ihrer Heimat die tollsten Dinge fabrizieren, dass ich 2013, retour in Berlin, kurzerhand den Online-Store FOLKDAYS eröffnete.

Gemeinsam mit meinem guten Freund Kimon Haars entwickelte ich ein Label für Fair Fashion und Design – für Kleidung, Accessoires, Schmuckstücke und Interior-Produkte. Wir wollten Menschen, die durchaus an Fair Trade interessiert sind, aber nicht in den Eine-Welt-Laden rennen würden, eine Design-affine Plattform bieten. Das hat auch gut funktioniert.

Und ihr bezieht eure Waren exklusiv aus eigenen Quellen

Ja, das ist wirklich das Besondere an FOLKDAYS. Wir arbeiten mit ca. 40 Kleinstherstellern in 20 Ländern zusammen – und zwar persönlich. Das heißt, wir haben in Tansania, Kenia, Äthiopien, Indien, Nepal, Kambodscha, Laos, Peru, Bolivien, Mexiko usw. sorgsam ausgewählte Manufakturen, die meist über Generationen hinweg ihr traditionelles Kunsthandwerk gepflegt und weiterentwickelt haben. Bei denen kaufen wir entweder direkt ein, zu einem mehr als fairen Preis versteht sich, oder wir designen gemeinsam neue Stücke, auf die wir dann aber auch kein Exklusivrecht stempeln, damit sich der Aufwand von Neuproduktion für die Betriebe lohnt. Wenn sie Rohstoffe beschaffen müssen, bekommen Sie eine Vorauszahlung. Dafür wissen wir, dass sie exakt die kostbaren Materialien ihrer Region verwenden. Das heißt, für Alpaka-Wollpullover gehen wir nach Bolivien oder Peru und für Seidenblusen nach Kambodscha. Bei FOLKDAYS bedeutet „Made in Nepal“ oder „Made in Bangladesch“ eben genau nicht Niedriglöhne und Ausbeutung. Wir haben zu all unseren Produzenten engste Beziehungen. Und genau das macht dabei so besondere Freude – zu sehen, wie es Familien gut geht und ihr kleines Business floriert und sie dadurch zu neuen Designs inspiriert.

Dieser Erfolg mit FOLKDAYS war und ist dir aber nicht genug …

Nun ja, im Zuge unserer Akquise-und Einkaufsreisen wurde auch klar, dass wir eine echte Ausnahme in Bezug auf die Produktbeschaffung sind und dass mit unserem kleinen Laden das Grundproblem der Textilwirtschaft maximal beleuchtet, nicht aber nachhaltig angegangen wird.

„So ist #fairbylaw zu meinem Thema und einer größeren Initiative geworden.“

Vor zweieinhalb Jahren, zum fünften Gedenktag von Rana Plaza, habe ich bei Change.org eine Petition gestartet, die die deutsche Bundesregierung dazu auffordert, endlich ein Lieferketten-Gesetz zu verabschieden, das Unternehmen dafür haftbar machen kann, was in den Produktionsländern geschieht.
Diese Aktion hat unerwartet schnell Fahrt aufgenommen – mit Hilfe meines Teams und vielen anderen Unterstützer*innen – und es ist schon sehr motivierend, dass mittlerweile mehr als 175.000 Menschen ihre Unterschrift abgeliefert haben, um der Bundesregierung Druck zu machen.
Das deutsche Textilbündnis von 2014, welches die Unternehmer auf freiwilliger Basis zur Offenlegung und Überprüfung ihrer Lieferketten und Arbeitsplätze im globalen Süden animieren sollte, war ja ein Schuss in den Ofen. Für nicht mal 20 Prozent der deutschen Textilfirmen ist die sogenannte Sorgfaltsplicht überhaupt ein Thema. Das haben zwei aufwendigste Umfragen des Wirtschaftsministeriums ergeben. Echt ärgerlich.

Und mit #fairbylaw hoffst du nun, Tempo machen zu können?

Eine gesetzliche Verankerung der Sorgfaltspflicht und Offenlegung von Lieferketten ist ein expliziter Punkt der Koalitionsvereinbarungen für genau den Fall, den wir im Jahr 2021 immer noch haben: Nachhaltigkeit und Fair Fashion-Produktion interessiert auf freiwilliger Basis die deutsche Textilwirtschaft schlicht nicht. Das ist wie mit der Frauenquote, die braucht auch erst Paragraphen – so wie alle Menschenrechte offenbar gesetzliche Verankerung benötigen, damit sie respektiert werden.

Das Gute ist, dass sich neben unserer Initiative #fairbylaw auch ein Verbund von 100 NGOs als Zivilgesellschaft ebenso intensiv mit eigenen Kampagnen für das Lieferketten-Gesetz einsetzt und wir eng kooperieren.

Ein bisschen Revolution muss also sein?

Ja voll! Auch um die Gesellschaft wachzurütteln. Ich meine, dass mit unserem Mode-Konsumverhalten etwas grundlegend sehr, sehr schiefläuft, ist wohl den meisten klar. Aber ich habe festgestellt, dass selbst Fans der Fair Fashion Bubble letztendlich keine Ahnung haben, was und wie viel da an unfassbarer Ausbeutung von Frauen vor allem, an Verschwendung von wertvollem Rohmaterial, von unsinniger Textil-Entsorgung und somit auch Klima-Belastung geschieht.

„Laut Studien würden die meisten Leute bis zu 20 Prozent mehr für nachhaltige Produkte bezahlen“,

wenn sie sicher grün & fair hergestellt worden sind. Das ist doch schon mal ein Anfang. Wenn man Konsumenten dann gute Produkt-Angebote macht, die Transparenz leicht verständlich gestaltet und neue Nachhaltigkeitsstores zum Beispiel durch gezielten Mehrwertsteuer-Erlass extra fördert, dann könnte eine Dynamik in die bessere Zukunft entstehen. Wir brauchen nur die Presse als Kombattanten, ein paar coole Firmenchefs und mutige Unternehmen, die als Pioniere an die Startlöcher gehen und bereits tolle Unternehmen gegründet haben.

In deinem neuen Buch Starting a Revolution geht es ebenfalls um Rollen-Vorbilder?

Meine Freundin Naomi Ryland und ich haben jede Menge erfolgreiche Unternehmerinnen interviewt und abgefragt, wie eine neue Form des Wirtschaftens menschenzentriert funktionieren kann. Einfach weil wir auch selber Inspiration und handfeste Anleitung gesucht haben, wie man eine moderne Arbeitswelt so gestaltet, dass sie sowohl Cash- als auch Spaß-Gewinn bringt. Denn darum geht es wohl am Ende des Tages: dass wir Freude haben und die Menschen, die für uns Arbeiten, nicht als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Zweck an sich und Ziel.