Interview mit Scott Lipinski & Jens Zander

Scott Lipinski ist der CEO des Fashion Council Germany und Jens Zander der Geschäftsführer von Neo.Fashion. Wir haben uns mit Ihnen über Berlin als Modestandort, die Zukunft von Live-Events und ihren persönlichen Nachhaltigkeitsansatz unterhalten.

Sie beschäftigen sich beide mit der Förderung von Mode und Talenten – inwiefern spielt Berlin diesbezüglich eine besondere Rolle als Modestandort?

SL: Deutschland spielt in erster Linie für uns eine Rolle. Aber Berlin ist natürlich reich an Kreativität, an Disruption und an Vielfalt. Gerade in den heutigen Zeiten in und nach der Pandemie braucht es in der Modeindustrie Veränderung und genau das bietet Berlin.

JZ: Ich bin natürlich nicht der Modefachmann, wie Scott es ist. Aber aus der bisherigen Erfahrung heraus sehe ich Berlin als die klare Nummer Eins als Kreativhauptstadt in Deutschland. Das gilt ganz besonders für Mode. Die Anzahl der Modeschaffenden Labels und auch die Vielzahl der öffentlichen und privaten Modehochschulen sucht Deutschlandweit seines gleichen.
Positive sehen ich die gerade entstehenden Kooperationen zwischen den Modelabels, den Verbänden wie zum Beispiel dem VBM – Verein Berliner Modedesigner*innen, dem FCG – Fashion Council Germany und der Wirtschaftsförderungen wirkt wie ein Magnet und Beschleuniger für die Mode „Made in Berlin“. Und auch wir mit der Neo.Fashion. werden vom Berliner Senat supportet, um den deutschen Nachwuchs hier in Berlin eine Plattform zu geben.


Die gesamte Modeindustrie hat unter der Pandemie gelitten – gibt es ein Learning, welches ihrer Meinung nach gezogen werden kann?

SL: Sicherlich hat die Pandemie uns viele Grenzen aufgezeigt, aber auch einige Chancen eröffnet. Wir beobachten noch immer, dass noch viele Marken die Zeit in der Pandemie genutzt haben, um sich digital neu aufzustellen, sich zu fokussieren und insbesondere ihre Geschäftsprozesse zu hinterfragen. Ist das, was bisher gemacht wurde, geleistet, produziert, gelagert und vertrieben wurde, tatsächlich richtig gewesen? Und ich glaube, diese Learnings halten noch an und setzen sich weiterhin fort. Sie sind auch ein Schlüssel zu neuen Ansätzen, in der Nachhaltigkeit und Technologie im Fokus stehen.

JZ: Ja, die Einschränkungen der Pandemiemaßnahmen, aber auch der schnelle Wechsel von Einzelhandel zu Onlinehandel, mit all seinen digitalen Veränderungen, hat meines Erachtens besonders kleine und noch aufstrebende Labels hart getroffen. Gleichzeitig wurden aber auch neue und direkte Zugänge zu den Zielgruppen sehr kurzfristig entwickelt, die gerade jetzt, nach aufkommender Belebung zu erkennbarem Wachstum führen. Was sicher vergleichbar ist mit anderen Bereichen, ist, dass die Konzepte/Labels die eine Eigenständigkeit und einen hohen USP hatten, besser durch die Krise gekommen sind als andere.
Das Thema „Storytelling“ ist in der Vermarktung dabei ein wichtiger Baustein beim Erfolg. Ein besonders großer Vorteil erwies sich aus der „lokalen Wertschöpfung“. Wenn also die Produktionsketten vom Design bis zur Auslieferung gut zu betreuen und für die Kunden gut erkennbar waren.


Durch die Pandemie hat sich verstärkt gezeigt wie essentiell Kunst & Kultur sind. Wo steht da die Mode als Wirtschaftszweig?

SL: Kunst und Kultur haben schon immer eine ganz besondere Bedeutung gehabt, was sich auch während der Pandemie gezeigt hat. Es ist jedoch bedauerlich, dass es nicht noch stärker kommuniziert und verdeutlicht wird. Es ist insbesondere ein Anliegen des Fashion Council Germany, die Wahrnehmung der Mode als Wirtschafts- und Kulturgut zu stärken. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, aber in der Pandemie hat sich gezeigt, wo wir ohne Literatur, Kunst, Film, Musik und Mode wären. Uns fehlte es an Konzerten, Theateraufführungen und vielen anderen Kultureinrichtungen. Vor allem die Kunst und Kultur sind prägende Dinge einer Gesellschaft. Einige der genannten Dinge haben gerade im Lockdown, Homeschooling und Homeoffice unser Leben bereichert. Andere fehlen leider noch immer.

JZ: Die vergangenen Lockdowns haben der Mode als Wirtschaftszweig sowie allen anderen stark zugesetzt. Ich bin mir sicher, dass dadurch viele Firmen zum Umdenken ja fast schon gezwungen worden. Ähnlich wie in der Kultur und Kunst mussten neue Wege gegangen werden, welche ja auch nachweislich von den Kunden angenommen wurden. Die eingeschlagenen Neuerungen sollten daher eine gute Basis für die Zukunft darstellen. Allerdings bin ich gespannt, wie lange z.B. die guten Vorsätze der Branche vorhalten.
Zudem ist mir aufgefallen, dass es eine „Post-Covid“ Mode gibt. Die Menschen sehnen sich nach „Ausgehen“, Kultur, Party und danach, die Stadt zu genießen. Das drückt sich auch in der Art und Weise aus, wie sich die Menschen aktuell anziehen möchten. Alle haben sich zwar an die Bequemlichkeit gewöhnt, doch jetzt wird wieder mehr auf das „Schick“ und „Cool“ geachtet. 


Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Berlin Fashion Week?

SL: Disruption.

JZ: Ich wünsche mir, dass der eingeschlagene Weg fortgeführt wird. Ich denke, dass die Gespräche mit allen Stakeholdern im letzten Jahr ein großes WIR-Gefühl erzeugt hat. Dies gilt es beizubehalten. Zudem sehe ich viel Potenzial für verschiedenste Eventformate und Ausstellungen. Daher wäre es mein Wunsch, dass man dem auch die Möglichkeit und Raum gibt zu entwickeln.
Die große Veränderung BFW besteht darin, dass es sich vom „Business to Business“- Modell hin zum Business to Costumer – Modell entwickelt. Das heißt, dass die Berlin Fashion Week“ mehr ein Happening werden wird,  ein „Melting Pot“, in dem Mode mit Musik und Kunst zusammen verschmelzen. Natürlich bleibt der Business Aspekt sehr wichtig - aber der Spass, das Entdecke und das sich Ausprobieren und neu definieren führt zu dem lang ersehnten neuen Selbstbewusstsein, das Mode aus Berlin, Mode aus Deutschland bisher etwas gefehlt hat.


Wie wichtig werden auch zukünftig, trotz Digitalisierung, Live-Events und Runway-Shows bleiben?

SL: 
Ich glaube, das eine geht nicht ohne das andere. Die Digitalisierung ist ein ganz wichtiger Aspekt der Zukunftsgestaltung. Aber wir sind Menschen, wir leben von Berührung, wir leben von Erlebnissen, Eindrücken, Gerüchen und das wollen wir auch weiterhin. Mode muss erfahren, erlebt und erfasst werden, genauso wie das soziale Miteinander, wo wir die Möglichkeit zum Austausch und Vernetzen haben. Weiterhin ist es für uns wichtig, hybride Modelle umzusetzen und anzubieten, weil Mode nicht ein rein physisches oder digitales Erlebnis ist. Die Möglichkeiten, die uns eine Digitalisierung bringt, sind fantastisch: Die Reichweite und das Angebot. Leider aber auch eine gewisse Unverbindlichkeit.

JZ: Unsere neun Shows im Rahmen der Neo.Fashion. stehen noch aus. Aber schon jetzt merke ich das Kribbeln, die Vorfreude und die Aufgeregtheit bei unseren Graduierten. Vergessen wir aber nicht die Models, die Fotografen, die Techniker und die Teams vom MakeUp & Hair. Sie alle leben von diesen Momenten, wenn das Licht ausgeht, der Beat den Saal durchflutet und die Models den Catwalk betreten. Diese Emotionen lassen sich aus meiner Sicht nicht mit einem reinen digitalen Event ersetzen. Die Emotionen und Erlebnissen sind das eine. Ganz klar sehe ich auch die Vorteile darin, dass man sich schlicht und ergreifen sieht! Ein Dialog, der Austausch von Erfahrungen, sich inspirieren lassen und das Netzwerk pflegen – unter vier Augen oder in einer Gruppe, auch das sehe ich nicht bei einem reinen digitalen Event. Allerdings sehe ich absolut die Notwendigkeit, digitale Inhalte im Vorfeld, während sowie nach dem Event bereitzustellen. So erreichen wir eine entsprechende Reichweite und eine hohe Relevanz. 


Nachhaltigkeit ist seit der letzten Saison der Berlin Fashion Week zu einem wichtigen Credo geworden – was können sich andere europäische Städte diesbezüglich von Berlinabschauen?

SL: Die Vielfalt macht Berlin einmalig. Die Fülle an kreativen, nachhaltigen Designer:innen und Brands, aber auch der Umgang mit Ressourcen in der Organisationeiner Fashion Week.

JZ: Das Thema Nachhaltigkeit ist sicher bei sehr vielen Modelabels einer der Kernpunkte ihrer Geschäftsidee. Daneben war es auch in Berlin, wo Think Tanks und Plattformen oder ganze Messen zu diesem Thema gestartet und erfolgreich entwickelt werden. Nachhaltigkeit in der Mode ist aber auch in anderen Ländern sehr stark im Kommen. Vorneweg sicher Dänemark mit Kopenhagen. Auch in Paris drehen viele große Labels das Ruder herum. Ich sehe es eher als ein sich gegenseitiges Inspirieren oder einen „sportlichen“ Wettlauf an, bei dem sich die innovativsten und besten Ideen und Konzepte behaupten werden. Berlin und die deutsche Modebranche sehe ich als gut aufgestellt.


Welchen Nachhaltigkeitsansatz verfolgen Sie bei Ihrer täglichen Arbeit?

SL: Ich versuche meinen Alltag bedachter zu gestalten und gewohnte Abläufe bewusst zu hinterfragen, um ressourcenschonende Alternativen zu finden. Achtsamkeit gilt als oberste Priorität bei meinen Entscheidungen, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Privatleben.

JZ: Von Anfang an war mir klar, dass das Format der Neo.Fashion. einzigartig in dieser Form und Breite und eine absolute Premiere zur Nachwuchsförderung in der deutschen Mode- und Kreativlandschaft ist bzw. sein wird. So habe ich mit der ersten Neo.Fashion einen Nachhaltigkeitsansatz, sowohl bei der Organisation als auch bei der Umsetzung verfolgt. Mir war z.B. wichtig, dass wir Jahr für Jahr weiterwachsen und eine Verstetigung der Teilnahme aller deutschen Hochschulen mit Modedesign anstreben. Wir wollten schlicht keine „Eintagsfliege“ werden. 
Darüber hinaus ist es uns wichtig, in den täglichen Dingen auf Umweltverträgliche Lösungen zu achten. So sind alle unsere Dienstleister aus Berlin, alle Meetings werden, wenn immer es möglich ist per Videocall umgesetzt und unser aktuelles Neo.Fashion. Magazin haben wir z.B. in der Seitenzahl stark reduziert, weil wir für den Informationstransfer auf QR-Codes und die Verlinkung auf unsere Website setzen.