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Berlin Contemporary: Interview mit LITKOVSKA
Hallo Lilia. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, um unsere Fragen zu beantworten. Könnest du dich und dein Label zunächst kurz vorstellen?
Mein Name ist Lilia Litkovska, ich bin eine ukrainische Designerin - Gründerin und Kreativdirektorin von LITKOVSKA, das 2009 gegründet wurde. Mit LITKOVSKA erforschen wir die Idee zeitgenössischer Kleidung durch schlichte, aber mutige Silhouetten und kantige, aber fließende Designs und wollen eine einzigartige Beziehung zwischen einer Frau und ihrer Kleidung schaffen - es gibt immer eine subtile Sinnlichkeit, die nahtlos in jedes unserer Kleidungsstücke eingenäht ist. Ich lebe zwischen Kiew, der Stadt meiner Inspiration, meiner Seele und dem ursprünglichen Zentrum meines Lebens, und Paris, wo ich seit dem Beginn des Krieges eine zweite Heimat für mich und mein Geschäft gefunden habe.
Die Kunst des Schneiderhandwerks wird in deiner Familie seit Generationen weitergegeben, und dein Ziel ist es, diese Handwerkskunst zu erhalten. Was macht deiner Meinung nach hochwertige Schneiderei aus und wie beeinflusst sie deine Entwürfe?
Da ich aus dieser Familie und diesem Erbe komme, sehe ich es als meine Pflicht und mein Privileg an, diesen Beruf und das damit verbundene Handwerk zu bewahren. Mit LITKOVSKA zeigen wir, wie Traditionen in einen modernen Kontext integriert werden können. Ethisches und nachhaltiges Arbeiten ist für mich ein wichtiger Aspekt hochwertiger Schneiderei und ein Großteil des fertigen Stücks wird bereits durch den Beschaffungsprozess der Materialien bestimmt. Die Zusammenarbeit mit Fachleuten, die Experten sind, beeinflusst unser Design - jedes Stück hat seine eigene Geschichte und wir verwenden viel Zeit und Mühe darauf, Kollektionen zu entwerfen, die unsere Marke als unverzichtbar in der internationalen Modeindustrie etablieren.
Deine Hauptinspirationsquelle für die letzte Kollektion waren die "Vesniankas", traditionelle ukrainische Frühlingslieder und du hast auch das Gedicht "Das Gebet eines ukrainischen Patrioten" in Ihre Entwürfe integriert. Kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen?
Das Gedicht "Das Gebet eines ukrainischen Patrioten" ist zu einer Hymne von Asow, den Verteidigern von Mariupol, geworden. Es wurde ursprünglich von einem politischen Dissidenten in den 1930er Jahren mit seinem Blut auf die Wände seiner Zelle geschrieben. Das Gedicht ist eine Erinnerung und ein Symbol für den Schmerz, den unser Land derzeit und seit dem Beginn des von Russland angezettelten Krieges in vollem Umfang durchmacht - aber es ist auch ein Zeugnis der Hoffnung. Die Ukraine steht vor einem grundlegenden Wandel - und auch wenn die Anfänge oft schrecklich und grausam sind, führen sie immer zu einem hoffnungsvollen Morgen. Für mich ist die Ukraine eine immense Inspirationsquelle: ein junges Land, das seine Jugend durchlebt und für seine Freiheit kämpft, mein Heimatland in den Jahren des "Frühlings", was sich in unseren traditionellen Frühlingsliedern widerspiegelt. Dieser Glaube und diese Hommage sind zum Kern des "Vesnianka"-Konzepts geworden, da die Kollektion die Schönheit des Lebens und seiner Phasen erforscht und das Erwachsenwerden nicht nur mit der eigenen individuellen Entwicklung, sondern mit Kulturen und Nationen als Ganzes verbindet.
Was bedeutet es für dich, heutzutage Mode zu entwerfen?
Heutzutage Mode zu entwerfen, geht über mich und über LITKOVSKA hinaus - es ist unsere Art, der Welt unsere Geschichte zu erzählen, unsere Stärke, Schönheit und unseren Widerstand zu zeigen und Millionen von Menschen zu erreichen und ihr Bewusstsein in unserem Kampf für die Ukraine zu schärfen, um diesen brutalen Krieg gegen uns zu gewinnen.
Zum Thema Nachhaltigkeit: Kannst du uns sagen, auf welche Schwierigkeiten du in Bezug auf Materialverfügbarkeit, Preisgestaltung und Lieferketten gestoßen sind?
Es war mir schon immer wichtig, eine bestimmte Botschaft in der Sprache der Mode zu vermitteln - und Nachhaltigkeit, insbesondere in Form unserer ARTISANAL-Linie und der Vermittlung des Wissens über Handwerkskunst, Tradition und die Arbeit, die in jedem Stück steckt, ist uns sehr wichtig. Um ehrlich zu sein, machen wir uns im Moment nicht so viele Gedanken über die Verfügbarkeit oder Lieferketten, da wir mit Stoffresten arbeiten und in unserem Land etablierte Arbeitsbeziehungen haben. Aber im vergangenen Jahr hat mein Team als echte Ukrainer bewiesen, dass die ständige Bedrohung durch Bombardierungen, Stromausfälle, Logistikprobleme und Verzögerungen kein Hindernis darstellen, wenn man an die Bedeutung seiner Kreation glaubt. Das ist die eigentliche Schwierigkeit für uns, aber unser Widerstand zeigt sich in jedem Stück unseres Labels.
Du bist eine Designerin mit viel Erfahrung. Wie hat sich die Branche entwickelt, seit du in der Modebranche tätig bist?
Seit ich 2009 mit LITKOVSKA angefangen habe, hat die Technologie einen großen Teil des kreativen Prozesses übernommen, was große Möglichkeiten bietet, aber auch die Erfahrung zwischen dem Designern und ihren Vision, ihren Händen, die in den Prozess involviert sind, dem Stoff und der persönlichen Beziehung zu ihnen wegnimmt. Es ist nicht mehr zwingend erforderlich, eine klassische Designausbildung zu absolvieren, da heute jeder Designer werden kann, was meiner Meinung nach eine interessante Herausforderung für die Szene darstellt. Ich sehe es jedoch als meine Aufgabe an, das gesamte Handwerk und das Fachwissen, das im Modedesign steckt, hervorzuheben - deshalb habe ich SCHOOLL in der Ukraine gegründet. Die Schule soll ein kreativer Knotenpunkt werden: ein Raum, in dem die Studenten über das theoretische Wissen hinausgehen und in Workshops, Mentoring und Networking praktisch arbeiten. Ich werde diese wichtige Arbeit bald wieder aufnehmen können.
Welche Bedeutung hat die Berlin Fashion Week als Modeevent für dich und dein Label? Wirst du in der nächsten Saison wieder dabei sein?
Berlin ist ein einzigartiger Ort, voller kreativem Geist. Das Umfeld hier scheint sehr geeignet zu sein, um neue Ideen zu kreieren und umzusetzen. Berlin bietet die Möglichkeit, mit der internationalen Mode-Community und dem progressiven Markt in Kontakt zu treten, zu kommunizieren und mit interessanten Menschen zu interagieren, was die weitere Entwicklung der Marke im Allgemeinen inspiriert.
Ich habe das Gefühl, dass im letzten Jahr viele zum ersten Mal das ukrainische Design für sich entdeckt haben, da die ukrainische Mode ein neuer Trend wurde. Ich wünschte allerdings, das wäre unter anderen Umständen geschehen.
Wir prüfen derzeit die Möglichkeit, eine weitere Show in Berlin zu veranstalten und werden auf jeden Fall alles tun, um daran teilzunehmen und den Kontakt zur hiesigen Branche wiederherzustellen - hoffentlich wird es im Juli ein weiteres Kapitel von LITKOVSKA auf der Berlin Fashion Week geben.
Stehst du in Kontakt mit anderen Designern? Wie erlebst du die Atmosphäre in der Modeszene?
Die Atmosphäre in der Berliner Modeszene ist unglaublich unterstützend, kreativ und offen und wir wurden sehr herzlich empfangen. Wir haben während unserer Zeit hier viele faszinierende Menschen und Designer kennengelernt, was die ganze Erfahrung noch besonderer gemacht hat.
Wir würden gerne wissen, wie du die Situation der Mode einschätzt. Was wird deiner Meinung nach im Jahr 2023 in der Modeindustrie im Mittelpunkt stehen?
Für mich ist die Entwicklung in Richtung Fast Fashion und Überkonsum gelinde gesagt sehr besorgniserregend. Modemarken sollten ihre Reichweite und ihren Einfluss auch dazu nutzen, um transparent zu machen, wie Kleidung produziert wird und wer an der Herstellung beteiligt ist. Die Langlebigkeit eines Kleidungsstücks in Bezug auf Stil und Qualität hat für uns immer Priorität, und ich hoffe, dass wir in dem Maße, wie der Diskurs über Mode, Klimawandel und soziale Verantwortung weltweit lauter wird, ein Umdenken in der Branche erleben werden. Ich hoffe und glaube auch, dass die Präsenz der ukrainischen Mode weiterhin eine wichtige Rolle spielen und die Unterstützung anhalten wird.
Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in deine großartige Arbeit!